In meinem Impulsvortrag „Future Mindset” habe ich kürzlich einen Tag aus Option 2 skizziert.
Bevormundung
„Das smarte Implantat in deinem rechten Handrücken weckt Dich zu der für deinen Schlafrhythmus perfekten Zeit. Smartphones gibt es nicht mehr. Und leider auch keine Snooze-Funktion, das Implantat zwingt Dich aufzustehen. Du machst Dich fertig für den Tag und steigst hinten in eines der allzeit präsenten, autonomen Fahrzeuge. Die Fahrt ist kostenlos, dafür werden über den Sitz deine biometrischen Daten erfasst. Anhand derer wird die ganze Fahrt über auf dich zugeschnittene Werbung gezeigt. Du musst auch gar nicht bestellen, das System erkennt anhand deiner Reaktion automatisch deinen Kaufimpuls und bestellt autonom. Same-Day-Lieferung inklusive. Du fährst weiter zur Strandpromenade und triffst Dich mit einem alten Freund, den Du schon lange nicht gesehen hast. Ihr spaziert die Promenade entlang und unterhaltet Euch über gute alte Zeiten. Dir fällt wieder mal auf, wie blitzblank die Wege hier sind. Nicht das kleinste Stück Unrat liegt irgendwo rum. Keine Graffitis, keine Hundehaufen. Ist aber auch kein Wunder, denn der öffentliche Raum ist komplett videoüberwacht und jedes Fehlverhalten wird sofort und automatisch geahndet. Du verabschiedest Deinen Freund und schlenderst ins Büro. Dein smartes Implantat registriert, dass Dein Energielevel noch nicht hoch genug ist, um heute auf der Arbeit gut zu performen, und aktiviert selbstständig eine Power-Playlist mit energetischen Beats. An deinem Schreibtisch angekommen beginnt der Timetracking-Bot, deine Zeit zu messen, Pausen und Ablenkungen werden automatisch abgezogen. Du hast plötzlich so ein komisches Gefühl. Du fühlst Dich den ganzen Dingen hier so ausgeliefert, kannst selbst kaum mehr Entscheidungen treffen und es ärgert Dich, dass Du keine Privatsphäre mehr hast. Dein Smart-Implantat registriert das natürlich sofort und wechselt die Playlist zu deinen Lieblingsstücken, was dich ablenkt und sofort auf andere Gedanken bringt. Kurze Zeit später beginnt das Implantat rot zu leuchten. Du reißt die Augen auf, weil Du weißt, was das bedeutet: Dein Social Score, deine gesellschaftliche Bonität, ist gerade so weit gesunken, dass Du einen Level nach unten gerutscht bist. Das bedeutet: keine Fernreisen mehr, Ausgangssperre, eingeschränktes Konto, Zugangsbeschränkungen. Während Du schweißnass noch überlegst, was denn der Grund sein könnte, wird dieser auch schon per Messenger übermittelt: Du bist heute unachtsam einmal bei Rot über die Straße gelaufen. Zudem ergibt Dein während der Promenade aufgezeichnetes emotionales und physisches Verhalten – Neuroscans, Puls, Gestik, Mimik, Schrittgeschwindigkeit usw. – eine 87-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine Straftat innerhalb der nächsten 6 Monate.” Wenn das die Zukunft ist, hätt ich gerne Option 1. Aber vieles von dem Skizzierten ist heute in Grundzügen bereits angelegt. Ob Social Scoring, Überwachung, Priming, Werbealgorithmen ...
Die anderen werden das schon machen
Unser Dilemma: Wie können wir das vermeiden? Von der Politik kommt nicht viel, ist sie ja auch viel zu sehr mit Systemerhalt beschäftigt. Und die Dinge, die man da zu regeln versucht, haben auf das Böse keine Auswirkung und gängeln dafür alle anderen – die DSGVO lässt grüßen. Konzerne fühlen sich auch mehr dem Shareholder-Value verpflichtet als dem Menschen – sei es Kunde oder Mitarbeiter. Bleiben nur wir. Jeder Einzelne. Selbstständige. KMUs. Eltern. Nerds. Berater. Mitarbeiter. Mensch. Jeder bei sich, zu Hause, im Umfeld, im Kontext der Kollegen. Schritt für Schritt in eine positive Zukunft. Wie genau, dazu werde ich in der nächsten Ausgabe ein paar Gedanken teilen.
Ihr Richard Seidl