Es ist grad unbequem. Klima. Gesellschaft. Politik. Projekte. Wir spüren einen rauen Wind. Nach Jahren des Wohlstands und der Sicherheit jetzt das: Klimakrise, Spaltung, Fake News, Krieg, Inflation, KI, stagnierende Unternehmen. Es ist im Großen wie im Kleinen. Die Sünden der Vergangenheit (wie technische Schulden!) holen uns jetzt ein – von der Klimakrise bis zur Legacy-Software. Wir hätten einiges besser machen können, haben wir aber nicht.
Denkfalle 1: Falsche Referenz – zeitlich und örtlich
Geht die Welt den Bach runter? Könnte man meinen. Ich glaub es nicht. Es gab in der Menschheitsgeschichte immer schlimme Bedrohungen und Krisen, die bewältigt wurden. Meiner Meinung nach „schauen” wir falsch. Wir sehen die eigene Lebensspanne – und die ist vermutlich geprägt von Wachstum, Frieden, Wohlstand und Sicherheit. Und wir dachten, das geht immer so weiter. Doch dafür gibt es in der Vergangenheit keinen Beleg. Wohl aber, dass es immer wieder Krisen gab. Menschen leben seither in und mit Unsicherheit: Erst schmeißt uns Gott aus dem Paradies, später die Pest, die spanische Grippe, Kriege, HIV, Weltwirtschaftskrise, Finanzkrise 2007, 9/11 bis Corona – und? Der Mensch hat es überlebt. Krisen wurden gemeistert.
Populismus, Kampagnen, Globalisierung, Instant-Access auf weltweite News und unsere Vorliebe für schlechte Nachrichten – Only Bad News are Good News – filtern unsere Wahrnehmung, lenken den Fokus der Aufmerksamkeit. Eine Dramaturgie, die uns die Welt schlechter sehen lässt, als sie ist.
Dass wir hier Realitätsverzerrungen erliegen, könnte uns Mut machen. Denn wir haben die Lösungskompetenz und die Energie, den Lauf der Dinge zu gestalten. Wenn wir wollen. Aber da liegt das nächste Problem.
Denkfalle 2: Beschäftigung & Stress vs. Kraftanstrengung
Was es jetzt in allen Bereichen braucht, ist eine Kraftanstrengung! Schweißtreibend. Mit vollem Einsatz. Spüren Sie schon den inneren Widerstand? Die beginnende Schnappatmung und den Impuls sich zu rechtfertigen:
Ich hab eh schon so viel zu tun! Was denn noch alles? Und warum ich? Ich bin eh schon im Stress … Aber was tun wir denn eigentlich? Wirklich? In vergangenen Zeiten hat ein Handwerker ein Werkstück erstellt. Das war dann fertig und brachte Nutzen (und Freude) beim Käufer. Heute beschäftigen wir uns nurmehr einen Bruchteil unserer Zeit mit produktivem, Sinn gerichtetem Tun. Stattdessen sitzen wir in Meetings, schieben Verantwortung, Pixel oder Worte hin und her, prokrastinieren auf Social Media, füllen Formulare für Administration und Bürokratie aus – und sind somit tagein tagaus busy. Und gestresst. Ja, es ist auch anstrengend – allerdings primär, weil es unbefriedigend ist. – Mit Verlaub: Was machen wir da eigentlich?
Jeder kennt das gute Gefühl, wenn eine zielgerichtete, pragmatische Kraftanstrengung zum Ziel führt oder wenn Experimentierfreude auf einmal ein Problem löst. Dieses Gefühl der Zufriedenheit, etwas geschafft zu haben. Und da ist es dann auch egal ob in 4 oder 5 Tagen. Doch unter dem Einfluss einer Trance aus Krise, Datenflut und Bürokratie geht keiner mehr die „Extrameile”.
Was hat das mit mir zu tun?
Wie gesagt: Wie im Großen, so im Kleinen. Natürlich sollten wir alle Weltretter sein – können aber mindestens mal bei uns in den Projekten und Unternehmen anfangen. Denn gerade in der Softwarebranche darf man sich fragen: Was braucht der User wirklich? Trägt das Feature zu irgendwas bei? Wie sieht es mit Ressourcenverschwendung aus? Nachhaltigkeit? Sinnhaftigkeit? Nutzen?
Diese Fragen sind anstrengend. Der Weg dahin auch. Ist so. Aber sie machen und geben auch Sinn. Verdrängen hingegen erhöht den Berg „technischer Schulden”. Besser alte Zöpfe abschneiden, alten Code endlich mal wirklich löschen, refactoren, Prozesse und Inhalte verschlanken. Und dann das gute Gefühl genießen, etwas geschafft zu haben.
In diesem Sinne: Packen wir es an!
Ihr Richard Seidl