Am Swiss Testing Day in Zürich feierte dieses Format Premiere und veranstaltete eine Diskussion mit drei spannenden Persönlichkeiten über die Verantwortung von Softwarequalität gegenüber der Gesellschaft:
- Ina Schieferdecker, unabhängige Forscherin an der Technischen Universität Berlin, mit langjähriger Erfahrung in der Ausbildung und einem klaren Fokus auf innovative Softwareentwicklungen.
- Wolfgang Platz, Gründer der Firma Tricentis, er unterstützt aufstrebende Unternehmen und begleitet sie durch die Herausforderungen in der Geschäftswelt.
- Ruedi Noser, Unternehmer und Politiker, der sich seit Jahren für ICT (information and communications technology) und insbesondere für die berufliche Ausbildung im Informatikbereich engagiert.
Durch das Gespräch führte Richard Seidl, bekannt für seine Podcasts, Bücher und Vorträge.
Zwischen Fortschritt und Verantwortung: Gesellschaft im Wandel
Die Diskussionsrunde betonte die Vorteile des enormen Informationszugangs, wies jedoch auch auf die Herausforderungen der Informationsflut hin. Besonders die Automatisierung – insbesondere die Hyperautomatisierung durch Künstliche Intelligenz (KI) – wurde als tief greifender Wandel beschrieben, der die Gesellschaften vor neue Herausforderungen stellt. Ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess sei notwendig, um mit der Geschwindigkeit der Entwicklungen Schritt zu halten.
Ein kritisches Thema war die fehlende Regulierung. Im Gegensatz zu anderen Branchen gibt es für Software kaum verpflichtende Kontrollen, was sowohl Risiken als auch Innovationspotenziale mit sich bringt. Die drei Diskutierenden waren sich einig, dass Software, die heute so invasiv ist, dass sie teilweise süchtig machen kann, verantwortungsvoll gestaltet werden muss – gerade im Hinblick auf neue Werkzeuge wie ChatGPT.

Politische Rahmenbedingungen: ein Spannungsfeld zwischen Innovation und Regulierung
Die Frage, welche Rahmenbedingungen notwendig sind, spaltete die Diskussionsteilnehmerin und die Teilnehmer. Einerseits wurde die Forderung nach klareren Regeln und mehr Verantwortungsbewusstsein laut, andererseits gab es Stimmen, die sich gegen eine zu starke politische Einmischung aussprachen. Kritisiert wurden vor allem politische Digitalisierungsprojekte, die oft praxisfern und ineffizient wirkten. So wurde ein Missverständnis zwischen Politik und Technologie festgestellt: „Das machen dann solche alten grauen Herren mit Krawatten wie ich – die keine Ahnung vom Thema haben“, so Ruedi Noser.

Abb. 1: Wolfgang Platz und Ruedi Noser
Dennoch wurde auch die Notwendigkeit einer sinnvollen Regulierung anerkannt – besonders wenn sie von Fachwissen getragen wird. Der Ruf nach einer „klugen Regulierung“ fand breite Zustimmung. Ziel sollte es sein, Innovation nicht zu ersticken, sondern Orientierung zu bieten.
Qualität in der Softwareentwicklung: eine dringende Notwendigkeit
Die Bedeutung der Softwarequalität stand im Zentrum der Diskussion. Insbesondere die mangelnde Sensibilität der Gesellschaft für die potenziellen Schäden schlechter Software – vor allem in sicherheitskritischen Bereichen – wurde als Problem hervorgehoben. Ina Schieferdecker plädierte dafür, dass Qualität kein „Nice-to-have“ sei, sondern zur Selbstverständlichkeit werden müsse.

Abb. 2: Ina Schieferdecker und Richard Seidl
Ein gesellschaftlicher Wandel in der Wahrnehmung von Softwarefehlern sei entscheidend, da Fehler in Unterhaltungssoftware oft akzeptiert würden – in sicherheitsrelevanten Bereichen jedoch katastrophale Folgen haben können.
Ruedi Noser betonte, dass Standards das wirksamste Mittel zur Qualitätssteigerung seien – nicht staatliche Regulierung. In vielen Bereichen habe sich Qualität erst durch dominante Marktakteure und klare technische Standards durchgesetzt.
Wolfgang Platz brachte die Notwendigkeit eines stärkeren Bewusstseins für unsichtbare digitale Risiken ins Spiel – wie etwa Datenschutz. Die Verantwortung liege auch bei den Behörden, auch wenn viele Zweifel an deren derzeitiger Fähigkeit, dieser Verantwortung gerecht zu werden, äußerten.
Die Rolle der Test- und Automatisierungsexperten in der Softwareentwicklung
Ein weiterer zentraler Punkt der Diskussion war, wie Unternehmen in Test und Automatisierung investieren können, besonders wenn kein offensichtlicher Bedarf formuliert wurde. Wolfgang Platz erklärte, dass er nie versucht habe, Unternehmen zu überzeugen. Vielmehr hätten die Kunden bereits ein Problem erkannt, etwa durch Regularien oder zahlreiche Bugs. Ruedi Noser zeigte auf, dass Qualität im Maschinenbau durch Standards und saubere Arbeit gewährleistet wird – und dass dies auch für Software gelten müsse, besonders in kritischen Bereichen wie der Medizintechnik.
Ina Schieferdecker unterstrich, wie wichtig es sei, Qualitätssicherung frühzeitig in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Sie erklärte, dass frühe Investitionen in Qualität nicht nur kostengünstiger, sondern auch effektiver sind. Auch Wolfgang Platz betonte, dass Testerinnen und Tester, die früh eingebunden sind, nicht nur Fehler verhindern, sondern auch wertvolle Impulse für die Spezifikation geben können.
Der Spannungsbogen zwischen Qualitätsanspruch und Kostendruck wurde von Ruedi Noser beleuchtet, der auf die hohen Standards in der Medizintechnik hinwies, die mit entsprechendem Aufwand verbunden sind. In Märkten, in denen der günstigste Anbieter gewinnt, kann dies jedoch zu erheblichen Softwareproblemen führen, was zeigt, dass Qualität nicht nur eine Frage des Wollens ist, sondern auch von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt.
Fazit: Qualität als Grundlage für eine nachhaltige digitale Zukunft
Die Diskussion verdeutlichte, dass Software unsere Gesellschaft tief greifend verändert und sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringt. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Innovation und Regulierung ist erforderlich, um das Potenzial von Software voll auszuschöpfen, ohne die Risiken zu vernachlässigen. Der Fokus auf Qualität, sowohl in der Entwicklung als auch in der Regulierung, muss weiter gestärkt werden, um eine nachhaltige digitale Zukunft zu sichern.
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