BI-Spektrum: Was macht Ihr Unternehmen Orion Governance genau? Bis jetzt weiß ich nur, dass Sie Knowledge- und Intelligence Graphs entwickeln. Können Sie unseren Lesern kurz erklären, was es mit Firma und Produkten auf sich hat?
Ramesh Shurma: Am einfachsten erkläre ich das anhand einer Analogie. Bis vor einigen Jahren haben wir uns mit Hilfe von Straßenkarten aus Papier orientiert, wenn wir auf Reisen waren. Das heißt, wir hatten eine ganze Menge davon, es war schwierig, das Kartenmaterial auf dem neuesten Stand zu halten, und wir haben uns natürlich manchmal auch verirrt, weil wir die Karte nicht richtig interpretiert haben oder sie nicht mehr aktuell war. Diese Probleme hat GPS gelöst. Digitale Navigationssysteme mit GPS haben gedruckten Karten vor allem eines voraus: Sie geben uns Situational Awareness. Auf Deutsch: Lagebewusstsein. Sie präsentieren Karten, die zeigen, wo Sie sich gerade befinden. Und dann kommen Anbieter dazu wie Google Maps oder Apple, die zeigen Ihnen auf Karten nicht nur, wo Sie sich gerade befinden, wie Sie von A nach B kommen, sondern zeigen Ihnen auch, welche Shops, Restaurants etc. in Ihrer Nähe sind. Sie machen die Navigation viel leichter, reduzieren Irrtümer und lassen ihre Nutzer sehr viel effizienter von A nach B kommen. Nun – Unternehmen nutzen Daten und Informationstechnologie heute so, wie wir früher Papierkarten genutzt haben. Die Informationsflüsse sind auf Papier gedruckt und häufig seit 10–15 Jahren nicht aktualisiert worden. Wir von Orion haben einen Weg entwickelt, diese Informationsflüsse automatisch nahezu in Echtzeit auf einer Karte abzubilden, sobald die Informationen aus Mainframes, Datenbanken oder anderen IT-Systemen von den verschiedenen Konsumenten genutzt werden. Diese so entstehenden Knowledge-Graphen können angereichert werden mit Informationen über die Geschwindigkeit des Datentransports, über die Qualität der Daten, über die Verlässlichkeit ihrer Verfügbarkeit etc. Wenn Sie so wollen, ist das eine Mischung aus Informationslandkarte und Systemmanagement-Informationen.
BI-Spektrum: Warum ist es wichtig, diese Informationen in Echtzeit zu bekommen?
Ramesh Shurma: Ganz einfach, weil es heute sehr viele Compliance-Anforderungen gibt, von staatlicher Seite einerseits, von den Branchenregulierungen andererseits. Denken Sie nur an die DSGVR. Mit unseren Intelligence-Graphen wissen Unternehmen jederzeit, wo welche Daten gespeichert sind und von wem sie genutzt werden. Weitere Themen sind in diesem Zusammenhang Gesetze zum Beispiel gegen Geldwäsche oder Vorschriften zur Rückverfolgbarkeit von Produkten und Teilprodukten, die in Ihrem Unternehmen verarbeitet worden sind. Ein anderes Thema ist Security. Mit unserem Knowledge-Graphen können Unternehmen im Falle eines Angriffs sehr schnell feststellen, ob Daten abgeflossen sind, von welchem System sie stammen und um welche Art von Daten es sich handelt.
BI-Spektrum: Das bedeutet, Ihre Software weiß, wo die Daten sind, wer sie wann und wo nutzt und von welcher Qualität sie sind? Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass Sie dabei nicht die Daten selbst analysieren, sondern lediglich die Metadaten durchforsten. Wie geht das?
Ramesh Shurma: Um die Datenkarte zu bauen, brauchen wir keinen Zugriff auf die Daten selbst. Das wäre auch mit vielen bürokratischen und rechtlichen Hürden verbunden. Wir benötigen nur Zugriff auf die Metadaten.
BI-Spektrum: Um die Analogie zu digitalen Karten vielleicht überzustrapazieren: Google Maps ist nicht zuletzt deshalb ein Erfolg, weil andere Entwickler die Karten auch benutzen können und sie für ihre Apps und Inhalte nutzen können. Denken Sie an die ganze Share-Industrie, die auf die Karten von Google und anderen Providern angewiesen ist. Arbeitet Orion auch mit anderen Unternehmen zusammen – erlauben Sie Mash-ups?
Ramesh Shurma: Wir wissen, dass wir nicht alles selbst machen können und dass wir nicht für alle unsere Kunden alles anbieten können. Deshalb haben wir unsere Plattform mit offenen APIs konzipiert. Wir haben auch deshalb die Analogie zur Landkarte gewählt, um zu zeigen, welchen Reichtum an Informationen unsere Graphen enthalten. Die können wir natürlich nicht alle selbst vorhalten oder produzieren. Unser Kundenerlebnis wird noch intensiver, je mehr andere Softwareprovider unsere Graphen auch nutzen.
BI-Spektrum: Der große Trick bei digitalen Landkarten ist der Zoom. Sie können ganz herauszoomen, dann erkennen Sie die Kontinente, oder ganz hineinzoomen, dann erkennen Sie einzelne Häuser oder auch Fahrzeuge. Geht das bei Ihrer Software auch?
Ramesh Shurma: Ja. Deshalb ist sie so nützlich.
BI-Spektrum: Und wieso funktioniert das, ohne die Daten selbst zu analysieren?
Ramesh Shurma: Wir benutzen etliche Datenpunkte aus den Metadaten, die uns sehr viel über die Lage, Qualität und Bewegungen der Daten erzählen. Beispielsweise können wir sagen, dass etwas mit den Transportwegen nicht stimmt, wenn Daten ungewöhnlich lange benötigen, um von A nach B zu gelangen. Wir können auch Aussagen über die Qualität von Daten machen und Hinweise geben, an welchen Stellen im Unternehmensinformationsfluss sich die Datenqualität verschlechtert hat. Das läuft grob gesprochen über die Profilierung der Daten und die verschiedenen ETL-Prozesse, die in großen Unternehmen genutzt werden. Wir können auch Verläufe zeigen. Zeigen, ab welchem Zeitpunkt zum Beispiel sich die Datenqualität verschlechtert hat. Das erleichtert das Troubleshooting.
BI-Spektrum: Ist die Landkarte nur eine Analogie oder zeigen Ihre Graphen auch Karten einer IT-Landschaft?
Ramesh Shurma: Wir zeigen das als Karten von Informationsflüssen. Die können sehr detailliert sein oder auf die Zusammenhänge konzentriert, sodass sie auch das Management verstehen kann.
BI-Spektrum: Warum nimmt eigentlich jeder Technologe an, dass Manager dümmer sind als Techniker?
Ramesh Shurma: Das tun wir gar nicht. Aber Manager im Linien- oder Top-Management haben so viel anderes zu tun, dass sie sich nicht um die Details kümmern können. Sie brauchen die großen Linien, um Entscheidungen zu treffen, und die liefern wir ihnen.
BI-Spektrum: Wenn Sie Ihren Graphen in die traditionelle IT-Nomenklatur von Frontend, Middleware und Backend einsortieren müssten, wo würden Sie ihn ansiedeln?
Ramesh Shurma: Wir berühren alle diese Teilsysteme. Man muss kein Technologe sein, um das zu verstehen. Große Unternehmen haben viele verschiedene IT-Systeme, nutzen viele verschiedene IT-Services im Haus oder in der Cloud. Wir bringen alles zusammen in eine Karte und zeigen in Echtzeit auf, was gerade wo passiert.
BI-Spektrum: Sind Graphen wie Ihre die Antwort auf die Handhabung einer immer komplexer werdenden Technologiewelt?
Ramesh Shurma: Ich glaube schon. Technologie in den Unternehmen war schon immer kompliziert. In den vergangenen Jahren ist sie nicht zuletzt durch Mobilität, Cloud, das immer interaktiver werdende Internet und durch AI und ML komplex geworden. Es gibt im Unternehmen niemanden mehr, auch keine Gruppe von Leuten mehr, die über alles Bescheid wissen kann. Deshalb sind solche intelligenten Kartierungen der Informationsflüsse so ungemein wichtig.
BI-Spektrum: Ihre Graphen haben Ähnlichkeit mit Dashboards, sind nur sehr viel komplizierter. Können auf der Basis von Knowledge-Graphen auch einfachere Dashboards erstellt oder gefüttert werden?
Ramesh Shurma: Absolut. Wenn die Karte einmal erstellt ist, kann man überall tief reinzoomen und Dashboards für einzelne Bereiche erstellen, wie für Datensicherheit, Privacy etc.
BI-Spektrum: Sind Knowledge-Graphen eine andere Bezeichnung für Data Fabrics oder ein Tool, um Data Fabrics zu bauen?
Ramesh Shurma: Ja. Knowledge-Graphen sind selbstdefinierende Data Fabrics. Wir nutzen anders als konzeptionelle oder architekturgetriebene Data Fabrics tatsächliche Metadaten. Weil wir Menschen sehr schlecht im Updaten sind, sterben konzeptionelle Data Fabrics sehr schnell. Sie entsprechen sehr schnell nicht mehr der Wirklichkeit.
BI-Spektrum: Was ist die Differenzierung gegenüber einem Data Fabric?
Ramesh Shurma: Sie meinen, abgesehen davon, dass unsere Graphen mit aktuellen Metadaten arbeiten? Mit unseren Graphen verfügen Unternehmen innerhalb von Wochen über ein Data Fabric, das sich auch noch automatisch selbstständig aktuell hält.