Überblick
Um konkurrenzfähig zu bleiben, muss jedes Unternehmen gleichermaßen auf dem Stand der Technik bleiben und entsprechend ausgebildete Nachwuchskräfte heranziehen, zum Beispiel mithilfe eines entsprechenden Ausbildungsprogramms. Grundlegende Fähigkeiten werden im Vorfeld sichergestellt, zum Beispiel über die schulische Ausbildung und später über Ausbildung oder Studium. Besonders wichtige und branchenweite Themen werden darüber hinaus in unabhängigen Ausbildungsprogrammen abgedeckt. Dadurch wird sichergestellt, dass Teilnehmer dieser Ausbildungsprogramme ein fundiertes und für entsprechende Tätigkeiten in unterschiedlichen Firmen relevantes Wissen erwerben. Die Verantwortlichen der Unternehmen wissen somit recht gut, was sie von Teilnehmern einer breit aufgestellten Ausbildung erwarten können. Den Anbietern dieser Weiterbildungsmaßnahmen fallen die Aufgaben zu, die Ausbildungsinhalte an den Interessen der Branche und den aktuellen und zukünftigen Entwicklungen auszurichten und die Qualität der Ausbildung sicherzustellen.
Für den Bereich des Softwaretestens ist das International Software Testing Qualifications Board (ISTQB) der Anbieter einer der weitverbreitetsten Ausbildungs- und Zertifizierungs-Standards. Das ISTQB wurde im Jahr 2002 durch acht nationale Boards gegründet: Dänemark, Deutschland, Finnland, Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz und das Vereinigte Königreich. Heute umfasst das ISTQB 66 Mitglieds-Boards, welche insgesamt 129 Länder weltweit vertreten. Mit über eine Million Prüfungen und 774.000 ausgegebenen Zertifikaten zum Juli 2021 zählen die Lehrpläne für Certified Tester zu den erfolgreichsten Zertifizierungen im Software-Engineering. Die drei deutschsprachigen Boards – das Austrian Testing Board ATB, das German Testing Board GTB und das Swiss Testing Board STB – sind Gründungsmitglieder des ISTQB und prägen die ISTQB-Ausbildungen von Beginn an.
Die Lehrpläne
Die vom ISTQB zur Verfügung gestellten Lehrpläne sind in drei Bereiche unterteilt: Core, Agile und Specialist (siehe Abbildung 1), womit verschiedene Richtungen innerhalb des Softwaretestens abgedeckt sind. In diesen Bereichen werden Ausbildungen für verschiedene Erfahrungsstufen angeboten: Foundation Level, Advanced Level und vereinzelt sogar der Expert Level. Im Folgenden stellen wir diese Bereiche und Erfahrungsstufen kurz vor.
Abb. 1: Die drei Bereiche der ISTQB-Lehrpläne
Der Core-Bereich
Mit dem ISTQB Certified Tester Foundation Level (CTFL) wird die Basis gelegt. Das Grundwissen, welches jeder Testingenieur haben sollte, wird hier vermittelt: Grundlagen, statische und dynamische Testverfahren, Testmanagement und Testwerkzeuge. Der CTFL ist zudem die Voraussetzung für alle anderen Zertifizierungen des ISTQB. Das ist sinnvoll und notwendig, da hier die grundlegenden Begrifflichkeiten und Zusammenhänge definiert werden, auf denen später aufgebaut wird.
Im Advanced Level gibt es die drei Lehrpläne zur Ausbildung zum Testmanager, Testanalysten und technischen Testanalysten. Allein nach den Zertifizierungszahlen zu urteilen erfreut sich die Ausbildung zum Testmanager erhöhter Beliebtheit. Hier wird vor allem auf Fähigkeiten, Methoden, Prozesse und die Handlungskompetenz eingegangen, die ein Testmanager in einem Softwareentwicklungsprojekt benötigt.
Darüber hinaus werden auf dem Expert Level zwei Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten: eine nochmalige Vertiefung des Themas Testmanagement sowie eine mit Fokus auf die Verbesserung des Testprozesses. Beide Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Expert Level sind sehr aufwendig, umfangreich und – wie der Name sagt – auf Experten zugeschnitten und mit erhöhten Eingangsbedingungen versehen: Neben dem Bestehen des entsprechenden Advanced Levels müssen alle Kandidaten mindestens fünf Jahre Berufserfahrung, zwei Jahre Erfahrung in einem durch den Lehrplan behandelten Bereich sowie mindestens eine Publikation in dem entsprechenden Gebiet vorweisen können.
Der Agile Bereich
Agile Softwareentwicklung stellt besondere Herausforderungen an Softwaretestingenieure. Die Lehrpläne zum Thema Agile Testing adressieren genau diese Herausforderungen. Auch hier gibt es eine Unterscheidung in einen Foundation Level und einen Advanced Level. Aufbauend auf den Grundlagen im Foundation Level bieten die Kurse zum Advanced Level die Vertiefung der technischen Möglichkeiten („Agile Technical Tester“) sowie die Vertiefung von agilen Führungsthemen („Agile Test Leadership At Scale“).
Die Behandlung des agilen Testens in separaten Lehrplänen ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Ausbildungsprogramme dediziert auf aktuelle und zukünftige Entwicklungen eingehen: Nachdem das Ausbildungsprogramm anfänglich auf den Core-Bereich fokussiert war, werden nun besonders wichtigen Themen eigene Lehrpläne gewidmet, in denen diese vertieft und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Weitere Spezialthemen werden aktuell im Specialist-Bereich zusammengefasst.
Der Specialist-Bereich
Der Specialist-Bereich bietet die Ausbildung in einer Vielzahl von aktuellen und über die zuvor genannten Testthemen hinausgehenden Spezialdisziplinen. An dieser Stelle ist ein sehr interessantes Zusammenspiel zwischen Ausbildungsmöglichkeiten und Bedarfen in den Unternehmen zu sehen: Einige Themen werden stark nachgefragt und entsprechend durch Ausbildungsprogramme unterstützt. Andere Themen sind aus Sicht der Ausbildung interessant und wecken nach und nach Interesse in den Unternehmen. So gibt es zahlreiche interessante Lehrpläne, die sich speziellen Teilthemen innerhalb des Testens oder gezielt ausgewählten Anwenderdomänen widmen.
In die Kategorie der speziellen Teilthemen fallen hierbei die Lehrpläne zum KI-Test, zum IT-Sicherheitstest, zum Testautomatisierungsentwickler, dem modellbasierten Testen, dem Usability-Testen, Performance Testing oder Acceptance Testing. Allesamt zeichnen sich durch die Abbildung aktueller und wichtiger Entwicklungen aus, die sowohl die Softwareentwicklung als auch entsprechend den Softwaretest branchenübergreifend beeinflussen.
In die Kategorie der ausgewählten Anwenderdomänen fallen die Lehrpläne zum Automotive Software Tester, zum Gambling Industry Tester oder Mobile Application Tester. Hier werden im Gegensatz zu den zuvor genannten branchenübergreifenden Themen explizit die Themen aus einer einzelnen ausgewählten Domäne aufgegriffen und in die Ausbildung aufgenommen.
Die DACH-Boards
Die drei deutschsprachigen Mitglieds-Boards des ISTQB ATB, GTB und STB sind nicht nur aktive Gestalter von Lehrplänen. Sie kümmern sich auch darum, ausgewählte Lehrpläne, Musterprüfungen und Prüfungsfragen ins Deutsche zu übersetzen, um die Akzeptanz und Verbreitung der Ausbildung zum Software-Tester weiter zu fördern. Aus dieser Zusammenarbeit ist mittlerweile eine enge Partnerschaft mit vielen gemeinsamen Projekten geworden.
Bei genauerer Betrachtung der für die einzelnen Länder übersetzten Lehrpläne und Ausbildungsprogramme fällt auf, dass es auch unterschiedliche Interessen und Entwicklungen gibt. Während auf der einen Seite nicht jeder beim ISTQB verfügbare Lehrplan durch jedes Mitglieds-Board übersetzt werden muss, sind die lokalen Boards ebenso frei, eigene, innovative und für ihre Industrie relevante Lehrpläne zu entwickeln. Für das GTB ist durch die hohe Relevanz der Automobilindustrie in Deutschland die Ausbildung zum Automotive Tester ein wichtiges Thema – weiterhin zählen hierzu auch die Entwicklungen der Ausbildungsprogramme zum Test´Data Specialist und zum Certified Professional for IoT (in Entwicklung).
Qualität der Ausbildung
An dieser Stelle wollen wir näher darauf eingehen, wie interessierte Softwaretestingenieure in den vom ISTQB angebotenen Themenfeldern ausgebildet werden können und wie die Qualität dieser Ausbildung sichergestellt wird.
Der direkte Weg für einen auszubildenden Softwaretestingenieur führt zu einem Trainingsanbieter. Dieser Trainingsanbieter stellt ein Ausbildungsprogramm zur Verfügung und eine anschließende Prüfung mitsamt Zertifikat (bei Bestehen) in Aussicht. Zur Sicherstellung der Qualität der Ausbildung sind hier verschiedene, unabhängige Stufen implementiert: Zunächst muss der angebotene Kurs des Trainingsanbieters durch unabhängige Experten der lokalen Boards akkreditiert werden, das heißt zum Einsatz freigegeben werden. Hierbei werden die relevanten Kursunterlagen und Planungen unter anderem auf inhaltliche Korrektheit, transportierte Erfahrungen aus der Praxis sowie Anwendbarkeit und Nutzen im Training bewertet. Neben der Sicherstellung der Qualität des Kurses wird die Unabhängigkeit der Prüfung vom Trainingsanbieter dadurch sichergestellt, dass eine vom Trainingsanbieter unabhängige Zertifizierungsstelle die Prüfung durchführt. Diese qualitätssichernden Maßnahmen sind für die breite Akzeptanz der Zertifikate zum Certified Tester unablässig.
Darüber hinaus streben einige Boards die Zusammenarbeit mit weiteren Ausbildungsstätten wie zum Beispiel Hochschulen an. Das GTB bietet den Hochschulen in Deutschland Ausbildungsmaterial an, was in den Hochschulvorlesungen auch mit eigenem Material kombiniert und erweitert werden kann. Dieses Material kann zielgerichtet zur Ausbildung von Studenten zum Certified Tester genutzt werden, was zu einer frühen Sensibilisierung für die Wichtigkeit qualitätssichernder Aspekte in der Softwareentwicklung beiträgt. Das GTB bietet darüber hinausfinanzielle Erleichterungen für Studenten, die die Prüfung zum Certified Tester Foundation Level ablegen wollen. Näheres erfahren Sie auf den Webseiten der drei DACH-Boards (siehe Kasten 1).
Kasten 1: Die DACH-Boards
Fazit
Die Lehrpläne des ISTQB und die damit verbundenen Ausbildungsmöglichkeiten sind heute ein breit akzeptiertes Erfolgsmodell. Besonders grundlegende Module wie der Certified Tester Foundation Level oder der Advanced Level Test Manager sind weltweit verbreitet und in der Wirtschaft anerkannt mit unverkennbaren Vorteilen für alle Seiten.
Zwar gibt es auch kritische Stimmen, die zu spezialisierte Module, bei denen eine Standardisierung nicht sinnvoll sei, nur teilweise Aktualität und lange Zyklen bis Lehrpläne an State-of-the-Art-Vorgehen angepasst sind, kritisieren. Bis heute gibt es beispielsweise kaum Anpassungen an die VUCA-Welt1.
Auf der anderen Seite gilt es gerade in diesem Bereich, Schnellschüsse zu vermeiden und ein breit akzeptiertes und von vielen Experten mitgetragenes Ausbildungsprogramm auf die Beine zu stellen, was ein gewisses Mindestmaß an Gründlichkeit und Qualitätssicherung erfordert. Das sind weithin bekannte, gegenläufige Ziele – wir werden sehen, ob es dem ISTQB und den nationalen Boards auch in Zukunft gelingt, diesen Spagat zu schaffen und die aktuellen Bedürfnisse weiter zu erfüllen.
Aufruf zur Mitarbeit
Auch Sie können einen Beitrag dazu leisten, dass der gesammelte Erfahrungsschatz an kommende Generationen weitergegeben wird. Sie können sich dazu im Rahmen von Arbeitsgruppen in den ISTQB-Mitglieds- Boards an der Weiterentwicklung des Ausbildungsprogramms beteiligen. Die Kontaktmöglichkeiten finden Sie auf den Webseiten.