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Interview mit Thomas Blum

OBJEKTspektrum sprach mit Thomas Blum, leitender Softwarearchitekt bei Siemens Healthineers, über das preisgekrönte Ausbildungs-Curriculum, das sein Unternehmen für Softwareentwickler und -architekten seit mehr als zehn Jahren betreibt, und darüber, wie sich die Arbeit von Softwarearchitekten in den vergangenen Jahren verändert hat.
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Thomas Blum

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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum


  • 30.08.2019
  • Lesezeit: 8 Minuten
  • 102 Views

OBJEKTspektrum: Siemens Healthineers hat von der renommierten US-Universität Carnegie Mellon in Pittsburgh den hochangesehenen „Linda M. Northrop Software Architecture Award“ bekommen. Mit dem Preis werden Personen oder Gruppen geehrt, die Herausragendes für die Softwareentwicklung und für die Entwicklung der Community getan haben. Sie haben den Preis für das Curriculum zur Softwarearchitekten-Ausbildung bekommen, an dem Sie federführend mitgearbeitet haben. Was ist das Besondere an diesem Programm?

Thomas Blum: Das Curriculum setzt sich aus mehreren (Einzel-)Programmen zusammen, zu denen zum Beispiel Entwicklung und Testing gehören. Das Programm reicht von der Ausbildung von Software-, System- und Test-Entwicklern/-Architekten bis hin zur Weiterbildung von Architekten zum Senior-Architekten, der über das Beherrschen seines Fachbereichs hinaus auch Qualifikationen als Networker, Führungsperson und im Business-Bereich benötigt.

Die Juroren des Preises hat offenbar die detaillierte Ausgestaltung des Curriculums beeindruckt, aber auch der Anspruch, dass wir uns dabei nicht auf die Vermittlung von Wissen konzentrieren, sondern darauf, dass wir Fähigkeiten vermitteln, also die Weiterzubildenden in die Lage versetzen, dieses Wissen in ihren Projekten anzuwenden. Diese Fähigkeit wird am Ende der Weiterbildungskurse auch in sogenannten Capability Assessments überprüft.

„Die Juroren des Preises hat offenbar die detaillierte Aus­gestaltung des Curriculums beeindruckt“

Wenn Ihr Unternehmen so großen Wert auf die Aus- und Weiterbildung von Architekten legt, kann man davon ausgehen, dass es bei Healthineers einen definierten Karrierepfad Softwarearchitekt gibt?

Ja. Und dieser Pfad geht deutlich über die Position eines Senior-Softwarearchitekten hinaus und geht bis hin zur weltweiten technischen Verantwortung für ein bestimmtes Produkt oder einen Produktbereich.

Was unterscheidet den Senior-Software-Architect vom Enterprise-Architect?

Wir benutzen den Begriff Enterprise-Architect bei Healthineers nicht, auch weil er nicht klar definiert ist. Meines Wissens kümmern sich Enterprise-Architects eher um das Zusammenspiel der verschiedenen IT-Bausteine eines Unternehmens und nicht so stark um die Architekturen für ein Produkt oder für einen Produktbereich. In unserem Ausbildungsprogramm adressieren wir explizit die Produktentwicklung und nicht die Enterprise-IT.

„Im medizinischen Umfeld legen wir viel Wert auf den Kunden-Use-Case und die Usability der Produkte“

Das ist in Deutschland noch sehr un­gewöhnlich. Was hat Healthineers dazu gebracht, einen Karrierepfad Software­entwicklung/-architektur zu definieren?

Das Programm zur Weiterbildung wurde bereits vor über 10 Jahren aufgelegt. Wahrscheinlich hat der Faktor Kundenbeziehung bei der Einschätzung der Softwareentwicklung eine große Rolle gespielt. Unsere Entwickler agieren sehr kundenorientiert. Sie verbringen gerade am Anfang ihrer Karriere viel Zeit beim Kunden, um genau zu verstehen, was er braucht. Im medizinischen Umfeld spielen nicht nur Datenschutz und Sicherheit des Patienten eine viel größere Rolle als in anderen IT-Bereichen. Den Entwicklern muss auch klar sein, dass ihre Pro­dukte eingesetzt werden, um Menschen zu heilen, und dass sie von Leuten bedient werden, die keine ITler sind, sondern Ärzte oder medizinisches Fachpersonal. Dementsprechend viel Wert wird auf den Kunden-Use-Case und die Usability der Produkte gelegt. Etwas, das auch in der Ausbildung zum Entwickler und Architekten bei uns besondere Aufmerksamkeit genießt

Requirement-Engineers gibt es dann bei Ihnen nicht mehr?

Doch natürlich. Aber der Softwarearchitekt braucht ein Verständnis aller Bereiche in der IT-Entwicklung, wenn er unserem Anspruch einer Brückenfunktion gerecht werden soll. Er muss den Kunden, den Entwickler, den Requirement-Engineer, aber auch den Business-Verantwortlichen verstehen. Innerhalb eines solchen produktorientierten Entwicklungsteams nimmt der Softwarearchitekt durchaus eine führende Rolle ein. Ein Senior-Architect ko­or­diniert die Arbeit mehrerer Teams.

Wie geht Healthineers im Ausbildungsprogramm und in seiner Architektur-Ausrichtung mit dem Thema „Agile“ um?

Wie wahrscheinlich viele große Unternehmen waren und sind wir teilweise heute noch Wasserfall orientiert. Zurzeit befinden wir uns mitten in einer Transition hin zu einer lean agile world. Das heißt für uns, dass wir die Wasserfall-Vorgehensweise in eine dynamische umformen werden. Das bringt für den Architekten deutliche Arbeits- und Rollenveränderungen mit. Anstatt wie früher sequenziell vorzugehen, muss er mit allen Bereichen von Requirement-Engineering bis Test sprechen und deren Inputs aufnehmen.

Wir arbeiten inzwischen auch in Sprints. Allerdings soll jeder Sprint einen Kundenmehrwert haben. Es ist also unerlässlich, dass die Interaktion zwischen den Bereichen intensiver werden muss, und bei uns nimmt der Softwarearchitekt dabei die Funktion des Brückenbauers ein.

„Das agile Verfahren bringt natürlich sehr viel mehr Feedback als beim Wasserfall-Vorgehen“

Was hat die Nutzung agiler Verfahren bisher gebracht hinsichtlich Entwicklungszeit und Softwarequalität?

Aus der Sicht des Softwarearchitekten erreichen wir deutlich mehr Transparenz. Beim Wasserfall-Vorgehen bekommen sie sehr wenige Rückmeldungen von den beteiligten Bereichen. Beim agilen Verfahren ist das anders. Durch die Zerlegung der Aufgaben in Sprints liegen Ergebnisse sehr viel schneller vor, gleichzeitig sind sie überschaubarer. Das provoziert entsprechend viele Rückmeldungen. Die in den zweiwöchigen Sprints gelieferten Kundenmehrwerte werden von den jeweiligen Product Ownern abgenommen. Das Gleiche gilt für die größeren User-Storys. Das bringt natürlich sehr viel mehr Feedback als beim Wasserfall-Vorgehen und damit eine deutlich schnellere Reaktionsgeschwindigkeit bei Veränderungen.

Führt der aufgebaute Karrierepfad für Softwarearchitekten auch dazu, dass die Mit­arbeiter länger bei Healthineers bleiben?

Das kann ich nur für mich persönlich beantworten. Die Karrieremöglichkeiten haben bei mir nie Wechselgedanken aufkommen lassen. Die Karriere ist planbar geworden und für mich hat das hervorragend funktioniert. Ich sehe auch in meinem Umfeld relativ wenig Fluktuation. Ich führe das darauf zurück, dass die Kolleginnen und Kollegen bei uns deutlich sehen können, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln können.

„Softwarearchitektur ist all das, was im Nachhinein nur schwer und mit hohem Kostenaufwand zu verändern ist“

Welches sind die wichtigsten Punkte, die sich in den letzten Jahren bei der Ausbildung von Softwarearchitekten verändert haben?

Um diese Frage zu beantworten, sollte man zunächst erklären, was man unter dem Begriff Softwarearchitektur versteht. Diese Frage stelle ich als aktiver Trainer auch immer wieder. Meiner Einschätzung nach ist Softwarearchitektur all das, was im Nachhinein nur schwer und mit hohem Kostenaufwand zu verändern ist. Gleichzeitig werden heute Systeme deutlich stärker durch Software bestimmt, als das noch vor zehn Jahren der Fall war, und im Blick auf Industrie 4.0 oder Internet of Things ist hier auch in Zukunft mit weiter stark ansteigender Komplexität zu rechnen.

Auch die neueren Entwicklungen wie Cloud-, Edge- und Fog-Computing sowie die Fortschritte in der künstlichen Intelligenz unterstreichen, dass es immer wichtiger wird, dass es eine Gruppe von Leuten geben muss, die diese Technologien verstehen und sie auf unsere Herausforderungen anwenden können. Ebenfalls verändert haben sich die Freiheitsgrade, mit denen Architekten entscheiden können, wie sie ein Problem angehen. Früher gab es einen kleinen Kanon von Werkzeugen, die sie anwenden durften. Heute ist das nicht zuletzt aufgrund der hohen Komplexität und Kopplungsmöglichkeiten anders. Also wird eine Governance gebraucht, die nicht mehr verbietet, sondern begleitet und berücksichtigt, dass Software bei uns heute nicht mehr lokal, sondern global entwickelt wird.

Das hat architektonische Konsequenzen. Der große Vorteil unseres Ausbildungsprogramms ist, dass unsere weltweit verteilten Softwareentwickler und -architekten die gleiche Sprache sprechen.

„Software wird bei uns nicht mehr lokal, sondern global entwickelt“

Wie stellen Sie sicher, dass das Trainings-Curriculum angesichts der sich ständig ändernden Business-Anforderungen, der Weiterentwicklung von Technologien und Organistations- sowie Arbeitsformen ak­tuell bleibt und nicht veraltete Inhalte transportiert?

Zunächst einmal dürfen Sie sich die Weiterbildung nicht als eine Reihe von Vorlesungen vorstellen. Die Ausbildungsteams bearbeiten gemeinsam Projekte und berichten von ihren aktuellen Anforderungen, machen neue Technologien für ihre Schulungskollegen greifbar usw. Der Trainer ist immer auch ein aktiver Softwarearchitekt. Von daher leben wir alle mit den Veränderungen und thematisieren sie. Deshalb habe ich keine Angst davor, dass unsere Trainings inaktuell werden.

Das Interview führte Christoph Witte

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Thomas Blum

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Zu Inhalten
Thomas Blum arbeitet seit mehr als 20 Jahren für Siemens Medizintechnik in verschiedenen Bereichen und nun für die Ausgliederung Siemens Healthineers. Hier fungiert er als einer der leitenden Softwarearchitekten im Bereich Magnet-Resonanz-Technik. Zusätzlich ist er seit rund zehn Jahren im Ausbildungsbereich tätig und trainiert angehende Softwarearchitekten oder bildet sie zu Senior-Architekten weiter.
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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum
Zu Inhalten

Christoph Witte ist Gründer der Wittcomm Agentur für IT, Publishing und Kommunikation. Darüber hinaus ist er Chefredakteur von IT Spektrum sowie BI-Spektrum und wirkt zudem bei dem Magazin JavaSPEKTRUM mit.


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