Das Interview führte Uwe Friedrichsen, der aktuelle Herausgeber der IT Spektrum.
Uwe Friedrichsen: Hallo Frances, es freut mich sehr, dass wir dich als Chefredakteurin der OBJEKTspektrum der ersten Stunde für ein Interview im Rahmen des 30-jährigen Jubiläums der Zeitschrift gewinnen konnten. Dann lass uns ganz an den Anfang zurückgehen: Wie kam es zur OS? War das ein längerfristig geplantes Vorhaben? War es eher eine spontane Idee? Oder ist die OS noch ganz anders entstanden?
Frances Pauisch: In den späten 80er Jahren hatte Richard (Rick) Friedman, ein amerikanischer Entrepreneur, die Vision, eine Medienfirma zu gründen rund um das Thema "Objektorientierung", das damals gerade hochaktuell war. Er hatte einen hervorragenden Geschäftssinn für den notwendigen Erfolg kombiniert mit einem guten Netzwerk von Fachexperten, die Artikel zu hochaktuellen Themen verantworten konnten. Die Firma hieß "SIGS Publications" – SIGS stand für "Special Interest Group Software". Ergänzt wurde das Team um ein "Advisory Board" von namhaften Experten wie Grady Booch, Adele Goldberg, Bertrand Meyer, Bjarne Stroustrup und Dave Thomas. Als Erstes hatte Rick das "Journal of Object-Oriented Programming" gestartet und kurz danach die Zeitschriften "Smalltalk Report", "C++ Report" und "Object Magazine". Darauf folgte auch eine Reihe von Konferenzen, und die Symbiose zwischen Zeitschriften und Konferenzen zu hochaktuellen Softwarethemen war in den USA gut etabliert.
In den frühen 1990ern expandierte Rick das Geschäft nach Deutschland und startete 1992, um den Markt zu testen, einen ersten Versuch mit der OOP-Konferenz in München. Die OOP wurde sehr gut angenommen, aber es war danach klar, dass dafür ein Fachexperte in Deutschland gebraucht wurde. Ich hatte die erste OOP nicht geleitet, aber mitbekommen und ebenfalls den Bedarf für mehr Fachbeiträge aus Deutschland gesehen. Und so fanden Rick und ich erst einmal zur OOP-Konferenz zusammen. Seit 1993 hatte ich dann viele Jahre die fachliche Leitung. Zwei Jahre später ergänzten wir, ähnlich wie in USA, das Portfolio um eine korrespondierende Fachzeitschrift – und OBJEKTspektrum war geboren. Als Fachexperte mit einem guten internationalen Netzwerk übernahm ich ebenfalls die fachliche Leitung als Chefredakteurin von OBJEKTspektrum.
Spannend! Also ist das Magazin OBJEKTspektrum im Prinzip als Ergänzung zur Konferenz OOP entstanden. Und wie ging es dann konkret los mit der OB-JEKTspektrum?
Gerade wegen der engen Verbindung zwischen Konferenz und Zeitschrift hatten wir beschlossen, die Premiere von OBJEKTspektrum auf der OOP 1994 zu feiern. Typisch amerikanisch mit einer Serie von Prospekten für die OOP, die Neugier erweckten: erst eine geschlossene Holzkiste, dann Monate später eine Holzkiste, aus der etwas versucht rauszukommen, dann etwas mehr rauskommt und schließlich vor Ort bei der OOP 1994 wurde die große Holzkiste im Ballsaal des Konferenzhotels mit entsprechender Musik und leuchtenden Discokugeln aufgestemmt, woraufhin sich die Besucher gierig auf die Erstauflage stürzten. Typisch Rick – er hatte übrigens eine Vorgeschichte in dieser Richtung. Vor SIGS hatte er ein Disco-Dance-Contest-Format entwickelt und gehostet, was später verkauft wurde an die Firma, die in USA die Fernsehserie "Dance Fever" etablierte.
Wir hatten, ähnlich zu USA, ebenfalls einen Fachbeirat etabliert – er bestand unter anderem aus Erich Gamma, Georg Heeg, Peter Hruschka und Michael Stal. Annette Weinert, die ich schon seit unserer gemeinsamen Zeit an der Universität Karlsruhe kenne, hatte von Anfang an die Schlussredaktion professionell gemacht. Und das war besonders herausfordernd da 1.) ich selber nie wirklich deutsche Grammatik gelernt habe und 2.) weil es so viele Fachbegriffe gibt und es immer wieder Diskussion darüber gab, inwieweit man englische Fachbegriffe überhaupt übersetzen sollte oder nicht. Wir erhielten recht radikale Leserbriefe – zum Beispiel, wenn wir einen Begriff wie "User Interface" als "Benutzungsschnittstelle" (statt Benutzer-Schnittstelle) übersetzt haben. Es war seltsam, gerade als Nichtdeutscher die Lanze für deutschsprachige Fachbegriffe zu halten (siehe auch "UML auf gut deutsch" in Ausgabe 5/1998 von acht deutschsprachigen UML-Experten).
Feier 2014, von links nach rechts: J. Coldewey (Chefredakteur 2009 – 2011), A. Weinert (Schlussredaktion der 1. Ausgabe), Dr. F. Paulisch (Chefredakteurin bis 2008), Prof. Dr. M. Stal (Chefredakteur JavaSPEKTRUM), Dr. T. Janning (Chefredakteur 2011 – 2018)
Nun hast du sicherlich auch viel Spannendes und wahrscheinlich manchmal auch Frustrierendes während deiner langen Zeit als Chefredakteurin der OS erlebt: Gibt es Ereignisse, die dir bis heute in besonders guter (oder möglicherweise auch schlechter) Erinnerung geblieben sind?
Gerade wegen unseres Schwerpunkts moderne Softwareentwicklung war es interessant mitzugestalten, wie sich die Zeitschriftenproduktion von der eher "traditionellen" zur hochmodernen Produktion gewandelt hatte. In den Anfangszeiten haben wir 3,5-Zoll-Disketten hin und her per Post geschickt. Riesenkatastrophe, als mal eine Titelseitengrafik von USA nach Deutschland mit der "Post" verloren ging. Und nach meiner Zeit hat sich dieser Trend sicherlich noch mehr verstärkt.
Sehr positive Erinnerungen habe ich an humorvolle Autoren, die mit ihrer Kreativität und Passion durch ihre Beiträge für OBJEKTspektrum die Community bereichert haben. Als ein Beispiel eine "Ballade" zu "Objektorientierung – zwischen Kunst und Kommerz" von Hartmut Fillhardt aus Heft 3/1994. Eine ganze Seite Ballade über Objektorientierung – ein kleiner Teil davon (siehe Kasten).
Oder ein satirischer Beitrag von "Kid Object" aus Ausgabe 5/1996, in dem (nicht so) fiktive Programmiersprachen mit Schusswaffenmetaphern beschrieben wurden, zum Beispiel das "BigListen" von "Precisely & Deadly", das "D-- Multi-Shooting System" von "Advanced Tackling and Terrification", das "Pisa Safe Shooting System" von "Inhibitive Shooting Equipment" und das "Bali Distributable Shooting System" manufactured by "Shooting Unlimited – Now!"
Sehr schön! (Lacht) Solche etwas "anderen" Beiträge brauchen wir auch wieder. Mal schauen, ob ich eine Autorin oder einen Autor dazu motiviert bekomme. Ich würde dir total gerne noch ganz viele Fragen stellen, aber uns geht der Platz im Heft aus. Daher nur noch eine letzte Frage: Was war für dich rückblickend betrachtet die Essenz der OBJEKTspektrum?
Ich glaube an die Kraft der "Community" – in diesem Fall der deutschen Software-Community, was unsere Autoren- und Leserschaft ausmacht. Ihr seid modern aufgestellt, offen für Neues, offen, euer Wissen mit anderen zu teilen, alles Eigenschaften, die wichtig sind für eine Fachzeitschrift, die sich mit der Zeit inhaltlich wandeln muss, da die Softwaretechnik sich ebenfalls weiterentwickelt. Ich verdanke viel dem Fachbeirat und den Autoren aus einer Vielzahl von Anwendungsdomänen, die mich unterstützt haben, als ich Chefredakteurin war. Ich konnte mich auch immer auf die volle Unterstützung durch den Verlag verlassen.
Ich bin sehr stolz, dass wir frühzeitig Themen aufgegriffen haben, die damals, aber auch teilweise heute noch wichtig sind, zum Beispiel unsere 2. Ausgabe zu Analyse & Design von Mai/Juni 1994 (mit technischen Beiträgen von Peter Hruschka, Georg Heeg, Robert C. Martin, Kent Beck und Ivar Jacobson), sowie auch auf die geschäftlichen Aspekte mit einem Beitrag von Ernst Denert zu "Objektorientierter Entwurf lohnt sich". Auch die Struktur mit regelmäßigen Kolumnen zum Beispiel zur agilen Entwicklung von Jens Coldewey, Analyse und Design von Peter Hruschka, C++ von Ulrich Eisenecker, Entwurfsmuster von Frank Buschmann, Smalltalk von Krzysztof Czarnecki und Verteilung von Michael Stal ermöglichte, dass die Fachexperten innerhalb bestimmter Themengebiete die wichtigsten und aktuellsten Themen adressieren konnten. Die Zeitschrift hat immer den stetigen Wandel der Software-Welt entsprechend begleitet und wird dies sicher auch in Zukunft tun.
Ich finde, das ist ein gelungenes Schlusswort! Vielen herzlichen Dank für das Interview!
"Nun geht ein neuer Ruf durch diese Gassen,
‚Objekte‘ schallt’s und mancher kann es noch nicht fassen:
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit!
Und noch sind nicht alle dafür bereit.
Objekte in die Schule geh’n,
zu Klassen sie sich sammeln.
Methoden erben, wunderschön –
Woll’n wir da weiter gammeln?"
Die vollständige Ballade kann man heute noch im Rahmen eines früheren Interviews mit Frances Paulisch unter www.sigs-datacom.de/uploads/tx_dmjournals/paulisch_OS_jubilaeumsausgabe_10.pdf nachlesen.