Laut Branchenverband Bitkom gibt es weiterhin eine hohe Zahl an offenen Stellen im IT-Markt. Sie signalisiert, dass sich Bewerber ihren künftigen Arbeitsplatz nach eigenen Vorlieben aussuchen können. Damit steigt der Druck auf Arbeitgeber, die Bewerber von den Vorzügen der eigenen Organisation zu überzeugen – zur Not mit dem höchsten Gehalt. IT-Unternehmen, die hier nicht mitziehen wollen oder können, geraten dabei schnell ins Hintertreffen.
Doch es gibt auch noch andere Kriterien, wie zum Beispiel die Arbeitgebermarke, die für Bewerber relevant sind. Die Arbeitgebermarke definiert, wie ein Unternehmen als Arbeitgeber wahrgenommen wird und für welche Werte das Unternehmen steht bzw. stehen will. Unternehmen können diese Darstellung aktiv gestalten und damit ein positives Image am Arbeitsmarkt aufbauen. Wer sich attraktiv und ehrlich positioniert, zieht automatisch interessante und zum Unternehmen passende Bewerber an.
Im Gespräch mit Martin Brochhaus, HR-Leiter beim IT-Dienstleister Materna, und mit Gesellschafterin Nicole Materna erfragen wir, welche Bedeutung die Arbeitgebermarke aus Sicht eines Familienunternehmens aktuell hat. Materna wurde 1980 in Dortmund gegründet, beschäftigt aktuell weltweit mehr als 2.300 Mitarbeiter und erzielte 2019 einen Umsatz von 323,8 Mio. Euro. Das Familienunternehmen wuchs im Geschäftsjahr 2019 um 229 Mitarbeiter und beschäftigte Ende 2019 insgesamt 2.356 Mitarbeiter, darunter über 140 Studenten, 80 Auszubildende und 80 Trainees.
Nicole Materna
ist Gesellschafterin des Familienunternehmens Materna Information & Communications SE. Sie arbeitet seit vielen Jahren im Unternehmen und engagiert sich insbesondere für die „Employer Branding Strategie“.
"Fühlt sich ein Mitarbeiter in seiner Position wohl, wird er sich in der Regel stärker engagieren und es entsteht eine Win-Win-Situation."
Martin Brochhaus
leitet seit 2017 die HR-Abteilung von Materna. Seine Schwerpunkte sind die Themen Unternehmens- und Führungskultur, „Employer Branding und Recruiting“ sowie Personal- und Organisationsentwicklung.
"Es gilt, glaubwürdig und authentisch darzustellen, was das eigene Unternehmen ausmacht."
Herr Brochhaus, wie gewinnt ein Arbeitgeber auf dem heiß umkämpften IT-Markt neue Mitarbeiter?
Martin Brochhaus: Wichtig ist zunächst zu erkennen, dass es neben dem Gehalt weitere wichtige Kriterien zur Auswahl des Arbeitgebers gibt. Dies gilt insbesondere für viele junge Menschen, die sich mit einer Marke identifizieren möchten. Unternehmen müssen daher verständlich ihre Positionierung darstellen und ihre Werte vermitteln. Es gilt, glaubwürdig und authentisch darzustellen, was das eigene Unternehmen ausmacht.
Dazu zählt es auch, transparent und ehrlich das künftige Arbeitsumfeld zu beschreiben. Nach einer Studie von Stepstone haben sich 53 Prozent der befragten Fachkräfte schon einmal gegen eine Bewerbung entschieden, weil sie den Eindruck hatten, die Informationen zum Unternehmen stimmen nicht mit der Realität überein.
Nicole Materna: Dies zeigt, wie wichtig es ist, glaubhaft und ehrlich über das Unternehmen, die Kultur, Arbeitsinhalte und den künftigen Arbeitsplatz zu informieren. So können Bewerber für sich prüfen, ob die ausgeschriebene Stelle auch tatsächlich zu den eigenen Vorstellungen passt. Authentizität ist wichtig, damit interessierte Bewerber im Nachhinein keine Enttäuschung erfahren. Fühlt sich ein Mitarbeiter in seiner Position wohl, wird er sich in der Regel stärker engagieren und es entsteht eine Win-Win-Situation.
Was zeichnet eine starke Arbeitgebermarke aus?
Materna: Eine starke Arbeitgebermarke arbeitet den Charakter und die besonderen Eigenschaften als Arbeitgeber markant heraus. Wie bereits erwähnt, muss dies glaubhaft und authentisch erfolgen. Bewerber und Mitarbeiter erleben recht genau, ob die zum Beispiel über Karriere-Webseiten und Stellenanzeigen dargestellten Werte auch in der Realität gelebt werden und ehrlich sind.
Dadurch liefert die Arbeitgebermarke Bewerbern eine klare Orientierung, ob sie zum Unternehmen passen oder ob dies nicht der Fall ist. Im Idealfall identifizieren sich große Teile der Belegschaft mit den Werten der Arbeitgebermarke und sind sehr zufrieden, einen Platz gefunden zu haben, bei dem diese Werte den Arbeitsalltag prägen. Wir sprechen hier von „Cultural Fit“, also eine passende Kultur zwischen Mensch und Organisation.
In der Folge binden sich Mitarbeiter langfristig an ihren Arbeitgeber, sind loyal und stolz und empfehlen den Arbeitgeber weiter. Ehrlichkeit im Umgang mit den eigenen Werten zahlt sich also für den Arbeitgeber langfristig immer aus. Messbar wird sie mit einer geringen Fluktuation, einem positiven Mitarbeiter-Engagement und einer hohen Zahl an passenden Bewerbungen. Die erwähnte Studie zeigt weiter, dass sich eine hohe Arbeitszufriedenheit negativ auf die Offenheit für eine berufliche Veränderung auswirkt.
Abb. 01: Über die Hälfte der von Stepstone Befragten hat sich nach dem Besuch der Unternehmenswebseite gegen eine Bewerbung entschieden, weil dessen Selbstdarstellung nicht glaubwürdig erschien.
Wie kommen Unternehmen zu einer starken Arbeitgebermarke?
Brochhaus: Es gilt zunächst herauszufinden, was die eigene Organisation wirklich ausmacht und welche Stärken sie hat. Ein solcher Prozess findet nicht am grünen Tisch statt, sondern gemeinsam mit den Mitarbeitern. Schließlich müssen diese Werte auch nachhaltig gelebt werden. Was einfach klingt, ist ein intensiver Prozess, der kontinuierlich fortgeführt wird. Das ist ein bisschen wie eine Trüffelsuche. Es braucht also Erfahrung und ein gutes Gespür. Daraus werden dann Arbeitgeberwerte formuliert.
Bei Materna haben wir beispielsweise drei Arbeitgeberwerte identifiziert, die uns ausmachen. Dies sind: „Substanz zählt“, „Autonomiekönner“ und „Freiraum organisieren“.
„Substanz zählt“ bedeutet, dass es uns besonders wichtig ist, mit Qualität zu überzeugen. Wer Lust hat, inmitten von Profis zu arbeiten, und sich in seinem Job einbringen möchte, ist bei uns richtig. Schein und Show ohne Substanz reichen nicht. Unsere Mitarbeiter haben einen sehr hohen Qualitätsanspruch an sich und ihre Arbeit. „Autonomiekönner“ bedeutet, dass es für uns und unsere Mitarbeiter sehr wichtig ist, ihre Arbeit eigenständig zu gestalten und selbst zu managen. Wichtig ist für unsere Mitarbeiter zudem, dass sie in ihren Projekten von Profis umgeben sind, die eine vergleichbare Einstellung haben.
Materna: Verantwortliche HR-Manager sollten regelmäßig hinterfragen, ob sie mit der Positionierung noch auf dem richtigen Weg sind. Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen helfen, den Status quo zu ermitteln. Formate wie Events, Umfragen oder Gesprächsrunden, in denen kritische Fragen erlaubt sind, sollten gefördert werden. Entscheidend ist, dass Mitarbeiter auch Antworten auf ihre Frage erhalten. All dies trägt dazu bei, dass die eigenen Mitarbeiter zu Fans und Botschaftern für die eigene Marke werden. Eine authentische Arbeitgebermarke aufzubauen, ist also eher ein Marathon als Sprint.
Wie können Bewerber für sich entscheiden, welche Arbeitgeberwerte zu ihnen passen?
Abb. 02: Bewerber tummeln sich nach den Online-Jobbörsen ganz besonders auf den Webseiten der Arbeitgeber, um sich zu informieren – unabhängig davon, ob sie aktiv auf der Suche sind.
Abb. 03: Die Abbildung zeigt, dass die meisten Unternehmen die im Bewerbungsprozess geweckten Erwartungen der Fachkräfte nach dem Einstieg erfüllen.
Brochhaus: Arbeitgeber positionieren sich heute umfassend in Online- und Social Media-Kanälen. Auch Plattformen wie Kununu liefern Bewertungen zu Arbeitgebern sowie Bilder, Videos oder Interviews, die Einblicke in das künftige Arbeitsumfeld geben. Business-Netzwerke wie LinkedIn und Xing liefern weitere interessante Einblicke.
All dies ist bereits eine Aussage über den Arbeitgeber und zeigt auf, ob er sich ehrlich präsentiert und an den Menschen interessiert ist oder in diesen Kanälen nur eine Schön-Wetter-Darstellung aufrechterhält.
Materna: Bewerber sind gut beraten, einen kritischen Blick auf die Kommunikation eines potenziellen Arbeitgebers zu werfen. Sind hier nur Floskeln zu finden oder Formulierungen, die um Ehrlichkeit bemüht sind? Wird eine Traumwelt gezeichnet oder ein realistisches Bild? Die Stepstone-Studie kommt zu dem Schluss, dass ein Drittel der Befragten schon mindestens einmal im Rahmen des Arbeitgeberauftritts von Stellenanzeigen über die Unternehmenskultur bzw. die Aufgaben im neuen Job getäuscht wurden.
Natürlich sollten sich Bewerber fragen, ob die dort vermittelten Werte zu den eigenen Werten passen. Das macht aber nur Sinn, wenn die Aussagen des Arbeitgebers glaubwürdig erscheinen. Wenn sich hier die üblichen Formulierungen und
Darstellungen finden, ist die Aussagekraft eher gering. Es ist übrigens durchaus zulässig, im Bewerbungsgespräch nach der Fluktuationsrate, der Weiterempfehlungsquote und der Identifikation der Mitarbeiter zu fragen. Wer sich als Arbeitgeber mit seinen Werten auseinandersetzt, wird diese Fragen auch beantworten können.
Brochhaus: Es gibt noch weitere Kriterien, die bei der Auswahl helfen. So sollten Bewerber prüfen, ob das bislang gewonnene Bild sich auch in den Stellenanzeigen widerspiegelt. Wie war die persönliche Kommunikation beim Vorstellungsgespräch oder anderen persönlichen Anlässen und wie erfolgte der Empfang beim Gespräch? Die Gesamtheit der vermeintlichen Kleinigkeiten ist es schließlich, die dafür sorgt, dass beim Bewerber ein insgesamt stimmiges Bild entsteht.
Das klingt alles wie die Suche nach einem Traumpartner für eine Hochzeit. Besteht dabei nicht die Gefahr für den Bewerber, einem gar nicht existierenden Traumjob nachzulaufen?
Brochhaus: Wer eine Reihe von Bewerbungsgesprächen durchlaufen hat und sich intensiv mit seinen ausgewählten Unternehmen beschäftigt hat, wird ein realistisches Bild von dem künftigen Job und dem Unternehmen erhalten. Mit der Zeit wächst die Erfahrung und ein vielleicht zunächst verklärter Blick auf eine Traumwelt weicht einer realistischen Einschätzung. Auf der anderen Seite kann es durchaus sein, dass ein Bewerber sofort das Bauchgefühl hat, dass die Marke, die Werte und die Beschreibung des Arbeitsplatzes für ihn zu 100 Prozent passen. Schließlich gibt es auch die Liebe auf den ersten Blick.
Materna: Wichtig ist die Erkenntnis, dass auch Unternehmen ein gesundes Interesse daran haben, dass Bewerber zu den eigenen Werten passen und die Passung von beiden Seiten offen und gründlich geprüft werden sollte. Umso wichtiger ist es, die Arbeitgeberwerte transparent und ehrlich zu kommunizieren, damit es nicht schon nach den ersten Arbeitstagen zum bösen Erwachen kommt – für beide Seiten.
Vielen Dank für das Interview!