Willkommen zur ersten reinen Online-Edition des IT Spektrum! Fühlt sich anders an? Ja, aber auch zeitgemäßer. Vor kurzem habe ich meinem (ebenfalls in der IT tätigen) Sohn erzählt, wie es bis circa 1995 war, wenn man Informationen zu einem IT-Thema benötigte: Man war darauf angewiesen, ein passendes Fachbuch oder eine Publikation mit einem passenden Artikel zu finden. Man konnte nicht mal schnell googlen und hatte direkt zehn Beiträge auf Stack Overflow und Konsorten zur Auswahl. Mein Sohn verfügt über ein ziemlich gutes Vorstellungsvermögen, aber sich das vorzustellen, fiel ihm sichtlich schwer.
IT-Fachinformationen sind nicht erst seit 2025 online: Gelesen wird auf dem Handy, dem Tablet oder dem Notebook – und spätestens jetzt auch die IT Spektrum (eine Digitalausgabe des Hefts gab es ja bereits seit 2013).
Wann endet der Hype um KI?
Für die erste reine Online-Edition haben wir direkt den derzeitigen Hype-Dauerbrenner „KI“ im Gepäck. So mancher/m mag bei KI spontan das bekannte Meme mit Samuel L. Jackson aus Pulp Fiction einfallen, in dem er mit gezückter Pistole und patentiert grimmigem Blick „Say ... one more time!“ sagt. Im Meme werden die drei Punkte dann stets kontextabhängig ersetzt – in unserem Fall also: „Say AI one more time!“. In der Tat fragt man sich immer mal wieder, wie lange der Dauer-Hype noch anhalten soll und wann wir wieder den Weg zu einem neuen Normal finden werden, egal ob mit oder ohne KI.
Klar ist, dass ein guter Teil des Hypes aktiv forciert wird. Viele Unternehmen, Investoren und Start-ups befinden sich in Goldgräberstimmung. Sie haben sehr viel Geld in KI investiert und spekulieren auf satte Gewinne in der Zukunft. Sie hoffen darauf, als die Sieger aus dem Rennen um die wenigen Megagewinner-Plätze hervorzugehen. Entsprechend muss der Hype geschürt werden: Immer neue, immer größere, immer großartigere Versprechungen, damit die Aufmerksamkeit der potenziellen Käufer bloß nicht abflacht. Fleißig mit AGI (vereinfacht ausgedrückt einer „universellen bewussten Intelligenz“) kokettiert, wie das zum Beispiel OpenAI immer wieder medien- (und bewertungs-)wirksam macht. Sichtbarkeit um jeden Preis. Keiner kann und will es sich leisten, nicht so laut wie möglich in die Medienwelt zu schreien, denn es gibt halt nur wenige Gewinnerplätze in dem Rennen.
Auf der anderen Seite ist das Thema tatsächlich spannend. Die Technologie ist auf jeden Fall faszinierend, und es schälen sich immer mehr interessante Anwendungsfälle heraus, in denen KI-Lösungen zunehmend besser bestimmte Routineaufgabenstellungen bearbeiten können, bei denen traditionelle Softwarelösungen an ihre Grenzen gestoßen sind. Von daher lohnt es sich trotz allen Hypes, sich mit dem Thema zu beschäftigen und zu überlegen, wie man KI wertstiftend einsetzen kann – sowohl beim Erstellen von Software als auch als Teil der erstellten Software.
Wertstiftung gesucht
Im Schwerpunkt dieser Edition der IT Spektrum betrachten wir den ersten Aspekt, das heißt, ob und wie man KI wertstiftend beim Erstellen von Software einsetzen kann. Glaubt man den ganzen Hyperlativen der KI-Lösungsanbieter (Superlative haben in der heutigen reizüberfluteten Welt ja schon lange ausgedient), dann hat der Software-Engineer in naher Zukunft ausgedient. Dann sprechen Fachexperten einfach mit Sprachmodellen und als Ergebnis fällt die fertige Software heraus.
Persönlich denke ich, dass bis dahin noch ein weiter Weg sein wird. Zumindest heute ist das Problem ja nicht, Software zu schreiben, sondern erst einmal, so weit zu kommen, dass man sie schreiben kann. Da gilt es, lückenhafte, widersprüchliche und auf vielfältige Weise interpretierbare Anforderungen so weit zu präzisieren, dass man daraus überhaupt Code erstellen kann, der das tut, was sich der/die Urheber/in der Anforderung vorgestellt hat. Und dann ist es die Aufgabe, diesen Code in die Abermillionen Zeilen existierenden Codes so einzupassen, dass der neue, aber auch der bestehende Code das tut, was er soll.
Ich stelle mir dann vor, was passieren würde, wenn eine GenAI-Lösung eine Anforderung vorgesetzt bekäme, wie sie typischerweise heute von einem/r Fachbereichsmitarbeiter/in formuliert wird. Wie die GenAI-Lösung die Anforderung auf die Weise, wie sie sie (nicht) versteht, in Code umwandelt und dann in die riesigen, häufig über 50 Jahre alten (und entsprechend aussehenden) Codebasen einfügt. Ich vermute, das hätte einen extremen Unterhaltungswert für all die nicht mehr benötigten Software-Engineers, die Popcorn essend zusehen würden.
Aber auch, wenn die ganzen Hyperlative mit mindestens einem Sack voll Salz genossen werden müssen (in Anspielung auf die englische Redewendung „to take something with a grain of salt“, zu Deutsch in etwa „etwas mit Vorsicht genießen“), so treten KI-Lösungen schon an, die Art und Weise zu verändern, wie wir Software entwickeln. Das ist dann zwar nicht so revolutionär wie angepriesen, verändert unseren Entwicklungsalltag aber Stück für Stück.
Entsprechend haben wir in diesem Schwerpunkt einige Beiträge gesammelt, die die Auswirkungen von KI-Lösungen auf die Softwareentwicklung betrachten: Was geht, wie gut geht es, wo sind die Grenzen und was geht noch gar nicht? Und sollten Sie bei KI das Meme von Samuel L. Jackson vor Augen haben, haben wir natürlich auch noch eine Reihe weiterer Fachartikel in der Edition versammelt, die sich nicht auf den Schwerpunkt beziehen.
Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall eine spannende (Online-)Lektüre!
Uwe Friedrichsen