Die digitale Transformation stellt die meisten Unternehmen vor große Herausforderungen – auch die Daimler AG. Im Finanzbereich dreht sich vieles um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, Cloud-Technologien oder „Robotic Process Automation“. Notwendig sind Investitionen in die IT-Infrastruktur, aber auch in die Qualifikationen der Mitarbeiter.
Oftmals unterschätzt wird aus unserer Sicht das Thema eCollaboration (mittlerweile in der Fachpresse auch Digital Collaboration genannt). Dieses sehen wir gerade in so großen Unternehmen wie der Daimler AG als absolut entscheidend an für eine moderne, effiziente Zusammenarbeit.
Die Corona-Krise hat uns in dieser Ansicht weiter bestärkt: Die Remote-Zusammenarbeit bildete für Unternehmen, die bereits in der Digitalisierung weit vorangeschritten waren, eine durchaus geringere Hürde. Digitale Zusammenarbeitsstrukturen waren vorhanden und die Zusammenarbeit konnte ohne große Effizienzverluste fortgesetzt werden. Andere Unternehmen dagegen erlitten Wettbewerbsnachteile und müssen nun schleunigst aufholen.
eCollaboration – Worum gehts genau?
Grundsätzlich bezeichnet eCollaboration die IT-gestützte Zusammenarbeit zur Erreichung gemeinsamer Ziele. Dies umfasst häufig Kommunikation, die Koordination von Aktivitäten zwischen Gruppenmitgliedern und die gemeinsame Arbeit an Objekten wie Dokumenten oder Softwarecode. Eine Gruppe kann dabei z. B. aus einem hierarchisch gebildeten Team, einer übergreifenden agilen Projektgruppe, einer Abteilung, einem Bereich oder sogar dem ganzen Unternehmen bestehen. Toolseitig wird natürlich die klassische Mail-Applikation genauso genutzt wie moderne Video-Conferencing-Tools mit Gruppenchatfunktion und digitalen Whiteboards.
Für die Zusammenarbeit in kleineren Teams sind unserer Erfahrung nach vor allem Tools für Dokumenten- und Wissensmanagement gefragt. Es geht zum einen darum, gleichzeitig gemeinsam in Tabellen oder Dokumenten zu arbeiten, zum anderen aber auch darum, Wissen zu dokumentieren und für Kollegen verfügbar zu machen. Damit Chaos und Unzufriedenheit vermieden werden, müssen die Tools jedoch so genutzt werden, dass sich alle Teammitglieder zurechtfinden. Gemeinsame Standards, z. B. für Ablagestrukturen, Dokumentenbezeichnungen oder geteilte Kalender, sollten eingehalten werden.
Abb. 01: Kollaboratives Arbeiten
In agilen Projekten sind besonders solche Tools gefragt, die eine Bearbeitung von Tasks sowie User-Storys ermöglichen oder die automatische Ableitung von Sprint-Reports und Roadmaps unterstützen. Digitale Kanban-Boards erfreuen sich auch jenseits agiler Projekte großer Beliebtheit – überall da, wo in teamübergreifenden Gruppen ein genauer Überblick zu Aufgaben, Terminfristen und Verantwortlichkeiten notwendig ist.
In der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit ermöglichen dagegen „Social Intranets“, interne Wikis und Expertendatenbanken die hierarchieübergreifende Vernetzung. Hilfreiche Informationen zu Zuständigkeiten, laufenden Projekten oder den richtigen Experten werden kommuniziert, sodass selbstorganisierte, dezentrale Zusammenarbeit jenseits der ausgetretenen Pfade gelingen kann.
Unabhängig davon beobachten wir, dass Webinar- und Screencasting-Tools immer beliebter werden. Relativ neu sind auch sogenannte Performance-Support-Tools, die die User in komplexen Prozessabläufen unterstützen und die Erstellung eigener kleiner Prozessanleitungen ermöglichen.
Die Umstellung auf papierloses Arbeiten ist in unserem Umfeld bereits weitestgehend vollzogen. Die Hauspost spielt kaum noch eine Rolle, während die digitale Signatur trotz manch rechtlicher Herausforderungen immer wichtiger wird.
Ebenso werden Analytics-Tools jenseits der klassischen Tabellenkalkulation einer immer breiteren Masse von Mitarbeitern zum Self-Service zur Verfügung gestellt. Auch hier ist der kollaborative Aspekt mit Code-Sharing und Entwicklerforen ganz entscheidend. Aufgrund zunehmender Tendenz zu „Free and Open Source Software“ (FOSS) verschwinden jedoch immer mehr die Grenzen zwischen unternehmensinternen und -externen Inhalten.
“A Fool with a Tool is still a Fool”
Wie allein die oben angeführten Beispiele zeigen, ist die Bandbreite der eingesetzten Tools und Anwendungsfälle groß. Entscheidend ist natürlich, dass die digitalen Tools erst einmal bereitgestellt werden. In großen Konzernen wie der Daimler AG ist dies jedoch in der Regel weniger das Problem. Eine Vielzahl moderner IT-Tools steht für die Mitarbeiter bereit. Wie unsere persönlichen Erfahrungen, aber auch unsere Untersuchungen anhand von Mitarbeiterbefragungen gezeigt haben, liegt die Herausforderung eher im Transfer in die richtige Anwendung.
Die Frage, welche Funktionalität in welchem Tool bei welchem Anwendungsfall optimal unterstützt, ist für den einzelnen Mitarbeiter oft nicht leicht zu beantworten. Dies ist allein schon durch die Fülle der Tools und die Zahl der Funktionalitäten begründet. Kaum ein einzelner Mitarbeiter kann alle Funktionalitäten gleichzeitig überblicken. Selbst Standardtools, die tagtäglich genutzt werden, bieten oft noch ungenutzte Potenziale. Die Erklärung ist einfach: Den meisten Mitarbeitern fehlt schlichtweg die Zeit, um sich um solche „Zusatzthemen“ zu kümmern. Dies kann dazu führen, dass ineffiziente Arbeitsweisen nicht hinterfragt und über lange Zeit fortgesetzt werden.
Ungenutzte Potenziale
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht besteht die Gefahr, dass sich das Nutzenpotenzial der Software nur unzureichend entfaltet. Dies ist dann besonders tragisch, wenn Software-Lizenzen bereits bezahlt sind und versunkene Kosten darstellen. Trotz hoher Investitionskosten kann es dann sein, dass sich die gewünschten Produktivitätseffekte nicht einstellen.
Eine Mischung aus Workshops, digitalen Lernangeboten und Communities kann jedoch schnelle Abhilfe schaffen. Unternehmen wie die Daimler AG investieren gezielt in den Aufbau entsprechender Angebote zur Mitarbeiterbefähigung. Dabei geht es nicht nur darum, neue Skills und Arbeitsweisen zu erwerben, sondern auch um die Entwicklung neuer Denkweisen, Steigerung der Veränderungstoleranz und Hinterfragen von Althergebrachtem.
Entscheidend ist dabei, dass die Mitarbeiter nicht nur einzeln befähigt werden, sondern auch im Team. Für Gruppen ist es nämlich oft wichtiger, dass jeder die zehn Prozent der wichtigsten Tool-Funktionen sicher beherrscht, als dass es nur wenige Experten gibt. Denn auch bei digitalen Tools im Unternehmen gelten die Gesetze der Plattform-Ökonomie. Je mehr User ein Tool/eine Plattform verwenden, desto größer der Nutzen für alle.
Möchte ich z. B. meine Teamkollegen über eine Gruppe in einem Messenger-Dienst informieren, dann ist das nur nützlich, wenn jeder Mitarbeiter diesen installiert hat und auch bedienen kann. Ob jedoch jeder Einzelne die letzten Details zur Umfragefunktion kennt, das ist eher nachrangig.
Große wirtschaftliche Relevanz
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht führen Investitionen in Mitarbeiter-Trainings vorerst zu keinem direkten operativen Cash-Flow. Oftmals wird auch die schwierige Messbarkeit von Digitalisierungstrainings bemängelt. Beschäftigt man sich jedoch genauer mit der Thematik, dann stellt man schnell fest, dass de facto eine Vielzahl geeigneter Methoden existiert. Diese umfassen klassische Ansätze wie das Modell Time Savings Time Salary (TSTS), den Return on Investment (ROI) oder die Nutzen/Kosten-Relation (NKR), um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Für ein typisches Präsenztraining kann beispielsweise einfach der zeitliche Aufwand aller Teilnehmer und Trainer (incl. Vorbereitungsaufwand) für die Kosten verwendet werden. Über (angenommene) Stundenlöhne kann eine Umrechnung in Euro erfolgen. Falls notwendig können weitere Kosten wie Raummiete, Anfahrt, externe Unterstützung etc. hinzugezogen werden.
Für die Gegenüberstellung mit dem Nutzen muss dieser in der Regel zunächst bestimmt werden. Eine Methode hierzu ist das sog. „Shadowing“, in dem Mitarbeiter über längere Zeit in ihrem Arbeitsalltag systematisch begleitet und beobachtet werden. Dabei sollte vor und nach der Einführung eines Tools der Zeitbedarf für bestimmte Tätigkeiten gemessen werden. Durch eine einfache Rechnung kann schließlich die durchschnittliche Arbeitszeiteinsparung zu den jeweiligen Tätigkeiten sowie die Produktivitätssteigerung ermittelt werden.
Weniger aufwendig sind hingegen Mitarbeiterbefragungen, entweder online oder z. B. anhand strukturierter Interviews. Diese bieten den Vorteil, dass in kurzer Zeit eine quantitative Einschätzung durch sehr viele Mitarbeiter gewonnen werden kann. Eine Differenzierung nach Mitarbeitergruppen liefert dabei oft interessante Erkenntnisse darüber, wie sich Digitalisierungspotenziale je Mitarbeitergruppe unterscheiden.
Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen
Nach der Datenerfassung erfolgt die Wirtschaftlichkeitsanalyse durch die Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen. Für eine umfassende Betrachtung der Wirtschaftlichkeit empfehlen wir, verschiedene Ansätze mit mehreren Szenarien durchzuführen. Dabei müssen die Daten je nach gewähltem Ansatz in die richtige Einheit überführt werden. Während im TSTS-Modell eine monetäre Größe berechnet wird, so kann die Nutzen/Kosten-Relation auch in einer zeitlichen Einheit ermittelt werden.
In unseren Betrachtungen zu ausgewählten eCollaboration-Anwendungen für Wissensarbeiter im Finance & Controlling-Umfeld kamen wir auf sehr positive Ergebnisse. Dies war zunächst nicht verwunderlich. Schließlich sind Wissensarbeiter primäre Profiteure von digitalen Tools. Ihre Wertschöpfung liegt in der Verarbeitung von Informationen und in der Generierung und Kommunikation von Wissen begründet. Dass die Ergebnisse für unsere knapp 250 Probanden jedoch so positiv waren, hat uns dann doch ein wenig überrascht.
Bei einem halbtägigen Digitalisierungstraining überstiegen die langfristigen Zeit- und Kosteneinsparungen für ein Team den anfänglichen Aufwand sehr deutlich. Es kam zu signifikanten Produktivitätsgewinnen in der Größenordnung von ca. 30 Min. pro Mitarbeiter pro Tag. Der Zeitaufwand für die Durchführung des Trainings war damit bereits nach wenigen Tagen wieder „amortisiert“.
Selbst unter Simulation weniger vorteilhafter Szenarien blieb der im Verhältnis zum Aufwand hohe Nutzen bestehen. Werden zusätzlich zu Arbeitszeiteinsparungen und Produktivitätsgewinnen noch weitere indirekte Effekte wie Einsparungen von Reisekosten, Verbesserung von Unternehmenskultur und Anpassungsfähigkeit berücksichtigt, so finden sich schnell viele weitere Gründe für Investitionen in digitale Tools und entsprechende Trainings.
Was bedeutet das für Absolventen?
Außer Frage steht, dass Expertenwissen hoch im Kurs steht. Wer anderen eine moderne Arbeitsweise erklären will, muss diese selbst vorleben. Darüber hinaus sind jedoch auch unternehmerisches Denken, kommunikative Fähigkeiten, Vielseitigkeit und Verständnis für die Endanwender wichtig.
Wer andere Mitarbeiter erreichen will, der muss auf der richtigen Flughöhe kommunizieren, egal ob digital oder analog. Mal ist vielleicht ein Workshop oder eine Schulung das richtige Format. Ein anderes Mal kann ein Thema über digitale Netzwerke in Communities vorangetrieben werden.
Abb. 02: Digitaler Enabler entwickeln
Wer nicht versteht, wie die Anwender arbeiten und welche Probleme sie umtreiben, der wird Probleme haben, passende Lösungen zu finden. Gefragt sind also Anwender-orientiertes Denken und der sechste Sinn, für welches Problem welche Funktionalität in welchem Tool das größte Potenzial bietet.
Ein „Digitaler Enabler“, der andere Mitarbeiter befähigt, kann ein ITler mit Freude am Kontakt zum Anwender sein. Genauso kann aber auch ein Mitarbeiter im Fachbereich als Multiplikator für Digitalthemen agieren. Fest steht, dass sich die Rollen und Jobprofile aktuell stark verändern. Die traditionelle Trennung zwischen Fachbereichen und IT verschwimmt zunehmend. Die IT rückt näher an die Anwender, was eine stärker Mitarbeiter-zentrierte Digitalisierung ermöglicht. Ob es den „Digitalen Enabler“ bald auch als explizites Jobprofil gibt, das wird die Zukunft zeigen!