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Die KI und die grauen Herren - wie uns de Produktivität gestohlen wird

Künstliche Intelligenz sollte der Turbolader unserer Produktivität werden. Stattdessen sitzen wir gebannt vor ihren Ergebnissen, korrigieren, polieren – und nennen das Fortschritt. Wer genauer hinschaut, merkt schnell: Wir arbeiten nicht schneller, sondern sind nur anders beschäftigt. Statt wirklich produktiver zu werden, sind wir süchtig nach dem Gefühl, es zu sein.

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Dr. Stefan Wess

Geschäftsleitung, Gründer & Chief Strategy Officer


  • 11.12.2025
  • Lesezeit: 3 Minuten
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Ein Vortrag, ein Programm, eine Präsentation – alles kann heute in Rekordzeit entstehen. Wer braucht schon kreative Schaffensphasen, wenn eine KI mit ein paar Prompts ganze Folienberge ausspuckt oder komplexe Programme schreibt? Wir lassen Tools Wissen strukturieren, visualisieren und neu verpacken. Texte, Grafiken, Code, Argumentationslinien – alles in Minuten erledigt. Automatisch generiert.

Umverteilung von Arbeit

Auf den ersten Blick: beeindruckend. Auf den zweiten: ernüchternd. Denn was als Effizienzwunder verkauft wird, entpuppt sich oft als Umverteilung von Arbeit. Die Maschine produziert rasch – aber der Mensch korrigiert, prüft, überarbeitet, verwirft. Und während die KI in fünf Minuten liefert, verschwinden Stunden im Nachjustieren. Das Ergebnis: viel Beschäftigung, wenig Fortschritt.

Neu ist das nicht. Schon in den 1980er-Jahren versprach die Computerisierung der Büros eine Explosion an Effizienz. Doch wie Cal Newport in seinem 2021 erschienen Buch „A World Without Email“ beschreibt, geschah das Gegenteil: Mit Computern, E-Mail und digitalen Kalendern verschwanden die Assistenten – und plötzlich verbrachten hochbezahlte Fachkräfte ihre Zeit mit Meetingplanung, Protokollen und Posteingängen. Die Produktivität sank, die Lohnkosten stiegen, und der Bedarf an Fachpersonal wuchs statt zu sinken.

Damals war es die E-Mail. Heute ist es KI. Manager schreiben Prompts, korrigieren Texte und trainieren Modelle statt Mitarbeiter. Es wirkt modern, ist aber dieselbe alte Falle: Technologie, die mehr verspricht, als sie hält – und dabei nur Arbeit verschiebt.

Natürlich kann KI nützlich sein – wenn sie gezielt eingesetzt wird, mit klarem Zweck und menschlichem Urteil. Doch derzeit ist sie weniger Werkzeug als Droge: Sie fasziniert, weil sie so herrlich effizient wirkt. Wir betrachten ihren Output, fühlen uns klüger – und merken nicht, dass das eigene Denken längst pausiert. KI suggeriert Geschwindigkeit, während sie in Wahrheit unsere Zeit absorbiert. Die vermeintliche Automatisierung ist ein Bumerang: Wer mit KI arbeitet, ist selten produktiver – nur stärker beschäftigt.

KI ist digitales Fast Food

Das Gefährliche daran: Wir verwechseln Aktivität mit Fortschritt. Das Gehirn bekommt seinen Dopamin-Kick, das Gewissen eine Streicheleinheit. KI ist digitales Fast Food – schnell, bequem, sofort befriedigend, aber ohne Nährwert. Alle wollen KI nutzen, aber kaum jemand will KI-generierte Inhalte wirklich sehen. Vielleicht ist genau dies das Paradox unserer Zeit.

Wir haben Maschinen gebaut, die uns Arbeit abnehmen sollen – und am Ende managen wir nur noch ihre Fehler. KI ist nicht die Zukunft der Arbeit, sondern ihre brillanteste Ablenkung.

Die grauen Herren aus Michael Endes Buch „Momo“ hätten ihre wahre Freude: Wir sparen keine Zeit – wir schenken sie ihnen freiwillig.

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Dr. Stefan Wess

Geschäftsleitung, Gründer & Chief Strategy Officer
Zu Inhalten

Dr. Stefan Wess ist geschäftsführender Gesellschafter der Aturas GmbH, anerkannter Hightech-Experte und ein echter KI-Pionier. Er war viele Jahre Mitglied im Aufsichtsrat des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) und Kurator der Fraunhofer-Gesellschaft. Aktuell ist er Mitglied im Rat für Technologie des Landes Rheinland-Pfalz und im Wirtschaftsrat der Gesellschaft für Informatik (GI).


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