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Die 3 wichtigsten Trends: Artificial Intelligence, Lernen und Security

JavaSPEKTRUM sprach mit Glenn Gore, dem Lead Solutions Architect von Amazon Web Services, direkt nach dem letzten AWS Summit in Berlin über seine Aufgabe als Architect, die Schwerpunkte seines Unternehmens und die wichtigsten Trends der nächsten Monate.
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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum


  • 31.05.2019
  • Lesezeit: 10 Minuten
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JavaSPEKTRUM: Ist der AWS-Summit nach wie vor ein Event für Cloud-Nerds?

Nein, inzwischen kommen auch Business-Leute zu diesen Veranstaltungen. Es mischen sich immer mehr Anzugträger unter die T-Shirt-Community. Ich finde das ausgesprochen positiv. Es zeigt, dass die IT nicht mehr isoliert vom Business arbeitet und das ist auch richtig so. Beide Gruppen begeistern sich für Technologie und beide loten ihr Potenzial aus, um das Geschäft zu verbessern. Der Zauber entsteht durch die Zusammenarbeit von IT und Business.

Hat sich die viel diskutierte Kluft zwischen IT- und Business inzwischen geschlossen?

Sie hat sich nicht nur geschlossen, inzwischen arbeiten sie auch gemeinsam an Herausforderungen. Das ist auch bei den Architekten innerhalb von AWS so, die mit den Kunden zusammenarbeiten. Ihr Know-how erstreckt sich zu rund 50 Prozent auf Technologie und zur anderen Hälfte auf Business-Themen.

Hat sich die Lücke auch in Bezug auf traditionelle Unternehmen geschlossen oder gibt es Branchen, die die Zusammenarbeit zwischen IT und Business stärker vorantreiben?

Alle Branchen wollen diese Zusammenarbeit, aber einige Industrien verwirklichen das schneller als andere. Die Finanzbranche zum Beispiel setzt inzwischen sehr stark auf Cloud-Infrastruktur und -Services. Sie verfügen über die größten IT-Budgets, haben aber auch durch Cloud-Services am meisten zu gewinnen.

Sie fliehen mit Cloud-Services aus ihrer eigenen Legacy-Misere, oder?

Sie versuchen, ihre eigenen technischen Schulden so schnell wie möglich abzuarbeiten. Dabei haben sie eine doppelte Herausforderung. Sie müssen sich nicht nur selbst stark verändern, sondern sie müssen auch den Anforderungen der Regulierungsbehörden entsprechen und ihnen erklären, wie sie das auch mit den neuen Technologieansätzen schaffen – zum Beispiel in den Bereichen Security und Risk-Management.

Profitiert die Finanz-Industrie besonders von der Geschwindigkeit, die ihnen die Cloud ermöglicht? Sie müssen nicht ihre gesamten Legacy-Applikationen modernisieren, sondern können in der Cloud gezielt neue Services entwickeln oder einkaufen.

Wie gesagt, die Finanzindustrie hat technische Schulden angehäuft. Etliche Banken haben die IT sogar mehr oder weniger komplett outgesourct. Heute streben sie nach mehr Agilität, sie wollen ihren Kunden neue Services anbieten, im Online-Banking, in der Anlageberatung oder im Zahlungsverkehr. All das können sie auf ihrem bisherigen monolithischen Application-Stack nicht realisieren. Das Gleiche gilt für das Thema Sicherheit. Heute meldet sich meine Kreditkartenfirma in Minuten, wenn ihr eine ungewöhnliche Transaktion in einem fremden Land auffällt. Noch vor drei oder vier Jahren musste man der Kreditkartenfirma vorher mitteilen, wo man hinfährt, damit die Karte nicht gesperrt wurde.

Ihre Funktionsbezeichnung lautet „Lead Solutions Architect“. Was verbirgt sich dahinter?

Ich arbeite in allen Kundensegmenten weltweit, in denen AWS tätig ist – von Start-ups über Großunternehmen bis hin zu Behörden. Das gibt mir einen sehr tiefen Einblick in das, was Kunden in verschiedenen Ländern mit AWS entwickeln und wie sich die Bedürfnisse unterscheiden. Deutschland ist zum Beispiel sehr gut im Bereich Industrie 4.0 beziehungsweise Industrial Internet of Things (IIoT). Darüber hinaus bin ich verantwortlich für die AWS Prototype Labs, in denen weltweit verteilte Teams zusammen mit Kunden Proof of Concepts erstellen und Prototypen für neue Anwendungsfälle entwickeln, die noch nirgendwo anders realisiert worden sind.

Von daher spielt Innovation in meiner Funktion eine wichtige Rolle, einen ebenfalls beträchtlichen Teil macht Change-Management aus. Die Services, die wir anbieten, lösen beim Kunden oft beträchtliche Veränderungen aus in Bezug auf Kultur, Organisation und Technologie selbst. Dabei ist der technologische Wandel das kleinste Problem. Kultur und Organisation sind schwerer zu verändern. Meine Arbeit ist es, diese Veränderungen beim Kunden zu begleiten und zu unterstützen und sie gegebenenfalls mit Best Pract ices zu versorgen.

Gehört es auch zu Ihren Aufgaben, einmal gefundene Lösungen zu skalieren und anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen?

Ja, es geht dann darum, Wege zu finden, wie wir individuelle Lösungen verallgemeinern und möglichst vielen Kunden zur Verfügung stellen können.

Jeder redet über Kulturveränderungen, aber kaum jemand berichtet Details und erklärt, warum Kultur zu verändern so schwierig ist. Können Sie uns Beispiele geben?

Kulturveränderungen werden sehr schnell persönlich. Nicht nur das Unternehmen ändert sein Verhalten, auch jeder einzelne Mitarbeiter muss das tun. Das bringt natürlich Fragen und Unsicherheiten – Kann ich das überhaupt? – und es gibt in diesen Veränderungsprozessen auch immer große Angst vor Machtverlust. Man muss sich auch klar machen, dass Unternehmenskultur etwas lang Eingeübtes ist, das die Leute nicht so einfach über Bord werfen können.

Können sich Unternehmen überhaupt so stark verändern oder sterben sie bei dem Versuch? Stattdessen entstehen neue Unternehmen, die solange prosperieren, bis sich die Welt wieder zu stark verändert, um sich noch anzupassen?

Es gibt natürlich Unternehmen, die auch große Veränderungen bewältigen, und andere, die es nicht schaffen. Aber es schaffen nur die, in denen sich auch das Topmanagement wirklich dem Wandel verpflichtet. Wenn Aufsichtsrat, Vorstand und Topmanagement nicht wirklich für den kulturellen Wandel einstehen, dann scheitern die Unternehmen daran. Und das fehlende Management-Commitment ist nach wie vor der größte Fehler, dem ich immer wieder begegne.

Gibt ein Erfolgsrezept für erfolgreichen kulturellen Wandel?

Kein konkretes. Aber bildlich gesprochen verhalten sich erfolgreiche Unternehmen so wie Menschen beim Kleiderkauf. Sie probieren solange neue Kleider an, bis sie etwas gefunden haben, das ihnen passt und in dem sie sich wohlfühlen. Sie hören nicht auf, bis sie etwas Passendes gefunden haben.

Die Kleider-Analogie ist sehr treffend, impliziert sie doch, dass man vieles ausprobieren und bei Bedarf schnell wechseln kann.

Der Vergleich trifft auch deshalb, weil beim Kleiderkauf sehr selten etwas gleich auf Anhieb passt.

Brauchen deutsche Unternehmen besonders lange, um die richtigen Kleider zu finden?

Das Vorurteil gegenüber deutschen Unternehmen, dass sie alles perfekt machen müssen und alles bis aufs letzte I-Tüpfelchen engineeren, trifft so nicht zu. Viele deutsche Unternehmen nutzen modernste Technologien wie Roboter, sie sind vorne mit dabei in Sachen Prozessautomatisierung und ähnliches. Meiner Ansicht nach versuchen deutsche Unternehmen ihre Prozesse perfekt zu bauen, aber das ist eine gute Sache.

Was muss ein Cloud-Provider heute seinen Kunden anbieten können und wie unterscheidet sich dieses Angebot von vor zwei oder drei Jahren?

Einerseits sind die Basics nach wie vor wichtig. Zum einen Skalierfähigkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit. Die Cloud-Nutzung wächst in enormen Raten. Wir haben heute Datensets auf AWS, die Petabyte-Größe haben, wir haben Workloads, die eine Million CPU-Aufrufe tätigen. AI wird die Anforderungen weiter sprunghaft ansteigen lassen. Zum anderen brauchen Provider Operational Excellence. Kunden, die kritische Workloads in die Cloud bringen, müssen die Gewissheit haben, dass sie immer verfügbar sind. Last, but not least benötigen sie ein sehr hohes Sicherheitsniveau.

Jetzt haben Sie natürlich auch die Stärken von AWS verwiesen. Welche Schwächen gibt es denn?

ch würde das nicht als Schwäche bezeichnen, aber wir bieten inzwischen mehr als 165 unterschiedliche Services an. Allein bei EC2 gibt es 32 unterschiedliche Compute-Technologien, aus denen Sie wählen können. Bei so vielen unterschiedlichen Produkten müssen Kunden in der Lage sein, die am besten passende Lösung zu identifizieren, was tiefes Know-how sowohl in den jeweiligen Technologien, aber auch in den Prozessen und Anforderungen voraussetzt.

Auf welche Delivery-Arten von Cloud-Computing fokussiert sich AWS – SaaS, PaaS, IaaS?

Wir bedienen drei grundlegende Felder: Erstens, Basis-Infrastruktur – Nutzer haben Zugriff auf die bestmöglichste Infrastruktur zum niedrigst möglichen Preis. Das zweite Feld nennen wir Developer Experience – die Unterstützung von Entwicklern, damit sie auf Basis von AWS-Bausteinen möglichst einfach sichere Applikationen bauen können. Der dritte Bereich ist Artificial Intelligence und Machine Learning. Wir wollen jedem Entwickler das Potenzial von AI/ ML öffnen. Wenn Sie bedenken, dass 40 Prozent aller Projekte im Bereich Digitalisierung in der einen oder anderen Form mit AI/ML zu tun haben, erkennt man, wie wichtig dieser Bereich für uns ist. Das bedeutet, dass wir einerseits hochkarätige, aber sehr einfach zu nutzende AI/ML-Services anbieten müssen, und auf der anderen Seite benötigen wir sehr fortgeschrittene Machine Learning Platforms, auf denen Experten diese Services nutzen und für ihre Zwecke anpassen und bei Bedarf massiv skalieren können.

Hybrid Cloud scheint das Cloud-Wort des Jahres zu sein. Schätzen Sie die Bedeutung der Hybrid Cloud ähnlich hoch ein wie die meisten Branchenexperten?

Viele Unternehmen betreiben eigene IT-Infrastrukturen. Selbst wenn sie alles in die Cloud verlagern wollten, dauert es einige Jahre, bis sie alles umstellen können, sei es aus technischen, organisatorischen oder finanziellen Gründen. Hybrid Cloud ermöglicht Unternehmen, beide Welten parallel zu nutzen. Durch die Kooperation mit VMWare bieten wir unseren Kunden jetzt auch die Möglichkeit, VMWare-Workloads nahtlos in ihren On-premises-Infrastrukturen und in der AWS Cloud laufen zu lassen. Hybrid Cloud bietet das Beste aus zwei Welten. Unternehmen können ihre Applikationen weiterhin On-premises fahren, wenn sie das wollen, aber gleichzeitig die Innovationen nutzen, die es eben nur in der Cloud gibt.

Welches sind die drei wichtigsten Cloud-Computing-Trends in den nächsten zwölf Monaten?

AI/ML werden innerhalb der IT-Branche der wichtigste Trend bleiben und sich schnell und massiv weiterentwickeln. Wir werden neue Fähigkeiten und neue, aufregende Services erleben. Die werden nicht alle von AWS kommen, sondern auch von Anwenderunternehmen, die diese Services und Skills in ihre Produkte integrieren. Der zweite große Trend heißt Lernen. Wir müssen Antworten darauf geben, wie wir die vielen Millionen Entwickler in kurzer Zeit mit neuen Methoden und Technologien vertraut machen können, damit sie weiterhin gute modernste Software entwickeln können. Das wird eine der wichtigsten Aufgabe der nächsten Jahre sein. Das dritte große Thema bleibt Security. Die Workloads wachsen, die Datenmengen vergrößern sich exponentiell, das gleiche gilt für den Nutzen, den Unternehmen, Behörden und ganze Nationen aus diesen Daten ziehen. Diese Assets adäquat zu schützen, bleibt wichtig, und je wertvoller sie werden, desto wichtiger wird es, sie zu schützen.

Glenn Gore ist als Lead Solution Architect für Amazon Web Services verantwortlich für die Erstellung von architektonischen Best Practices für die Cloud-Nutzung und die Zusammenarbeit mit Kunden. In dieser Funktion überwacht er die architektonischen Best Practices im gesamten asiatisch-pazifischen Raum, gibt den regionalen Input in die AWS-Roadmap und unterstützt Kunden, die strategische Investitionen mit AWS tätigen.

Das Interview führte Christoph Witte, E-Mail: cwitte@wittcomm.de, Fotoquellen: AWS und Glenn Gore

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Christoph Witte

Chefredakteur IT Spektrum und BI-Spektrum
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Christoph Witte ist Gründer der Wittcomm Agentur für IT, Publishing und Kommunikation. Darüber hinaus ist er Chefredakteur von IT Spektrum sowie BI-Spektrum und wirkt zudem bei dem Magazin JavaSPEKTRUM mit.


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