Johannes Mainusch: Du bist DevOps-Engineer im ÖBB Business Competence Center?
Malte Fiala: Das ist richtig, das Business Competence Center ist das Shared Service Center für den ÖBB-Konzern. Hier ist auch die IKT mit rund 500 Kolleginnen und Kollegen angesiedelt.
Die ÖBB haben es geschafft, mit dem ÖBB Nightjet eine Leistung innovativ bereitzustellen, dass ich von Hamburg nach Wien ganz bequem über Nacht fahren kann, etwas, was die Deutsche Bahn momentan gar nicht macht. Fühlst du dich innovativ?
Ich finde, dass wir extrem innovativ sind. Für mich war das ein total spannender Moment, zur ÖBB zu kommen und zu sehen, wie modern unsere Technologien in den unterschiedlichen Bereichen sind. Beispielsweise haben wir sehr früh auf Technologien wie Kubernetes für die Containerorchestrierung von Endkundenportalen gesetzt.
Das heißt, deine Erwartungshaltung war, auf eher alte IT und traditionell gewachsene Strukturen zu treffen?
Ich bin vor etwa drei Jahren als Enterprise Architect mit Cloud-Spezialisierung zur ÖBB gekommen und habe daher schon erwartet, dass innovative Technologien zum Einsatz kommen. Und so konnte ich mithelfen, die ÖBB schrittweise in Richtung Cloud zu bewegen. Heute sind wir mittendrin, haben natürlich noch viele Legacy-Systeme, aber auch schon vielversprechende Ansätze in der Cloud. Mit dem agil aufgesetzten Programm Cargo1492 sind wir beispielsweise gerade dabei, sämtliche IT-Prozesse innerhalb der Rail Cargo Group auf neue Beine zu stellen. Hier spielt auch Cloud eine Rolle, gerade in der Nutzung von kurzfristigen Skalierungseffekten.
„Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen bahnkritischen und bahnunkritischen Systemen”
Christa Koenen von der Deutschen Bahn sagte im Interview in 03/2019, die Bahn ist einer der ältesten Technologiekonzerne. Insofern gibt es neben Innovation auch sehr alte Systeme und Verfahren.
Ja, das stimmt. Die Bahn ist über 180 Jahre alt. Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen bahnkritischen und bahnunkritischen Systemen. Der hochinnovative Teil findet meist im bahnunkritischen Teil der IT statt, weil wir hier viel freier agieren können. Bei allen kritischen Anwendungen spielt die Sicherheit der Systeme eine so hohe Rolle, dass die Innovationszyklen eindeutig länger sind. Daher haben wir unterschiedliche Geschwindigkeiten in der IT-Entwicklung, je nach System. Änderungen an der Software bei Signalsteuerungsanlagen haben aus Sicherheitsgründen viel höhere Qualitätsansprüche als etwa ein neues Feature im Kundenportal im Internet.
ÖBB Cityjet
Welche Innovativen können Einfluss darauf nehmen, um zusätzlich zu sicher auch schnell zu sein?
Das hängt je Projekt und Vorhaben stark davon ab, welcher interne Kunde uns beauftragt. Traditionell haben Vorhaben etwa im Infrastrukturbereich eher einen Schwerpunkt auf der Sicherheit, da es hier sehr viele bahnkritische Systeme gibt. Auf der anderen Seite kommen im Personen- und Güterverkehr oft Themen, die sehr schnell einen Effekt am Markt erzielen wollen. Denn beide Unternehmen stehen im Wettbewerb, auch mit der Straße, also mit PKWs und LKW-Verkehr. Das führt dann bei diesen Projekten zu Agilität statt Wasserfall und Cloud-Technologien statt Server. Unsere Aufgabe als IT-Dienstleister ist es, beide Welten zu verstehen und ein DevOps-Konzept zu entwickeln, das auch in beiden Welten lebbar ist.
Hast du ein Beispiel dafür, wie das funktioniert?
In den letzten Monaten haben wir damit begonnen, eine IT-Basis zu schaffen, mit der zukünftige Projektvorhaben schnell in die Cloud gebracht werden können. Eines zur Normierung unterschiedlichster Planungssysteme wird bereits 2021 darauf aufbauen können. Diese Vorhaben sind große klassische Projekte, bei denen wir auch in der Erfassung der Kundenanforderungen immer agiler werden. Manchmal kommt einem das wie Babysteps vor, aber für den Konzern bringt das große und entscheidende Lerneffekte. Das Ganze ist für uns ein kultureller Wandel und ein starkes Ausprobieren und Lernen. Alles mit dem Ziel, sehr schnell und in kürzeren Zyklen Software in den Betrieb nehmen zu können.
Das heißt, auch dieses Projekt fängt erst mal relativ klassisch an, mit einem genauen Anforderungskatalog, also in der euch bekannten traditionellen Welt, und dann versucht ihr, das aber im Projekt selbst agiler durchzuführen.
Genau. Wir haben, wie andere Unternehmen dieser Größenordnung auch, über all die Jahrzehnte unterschiedlich gewachsene Softwaresysteme laufen. IT-technisch stellt uns das vor große Herausforderungen und natürlich wären hier einheitliche moderne Systeme besser. Das ist das Ziel unserer großen Programmoffensiven.
„Mit unserer Cloud-Journey sind wir noch am Anfang”
Werden künftige Programme in eigenen Rechenzentren laufen oder geht ihr in die Cloud?
Das ist noch zu definieren. Derzeit läuft vieles im Rechenzentrum und mit unserer Cloud-Journey sind wir noch am Anfang. Wir haben eine Cloud-first-Strategie. Aber auch hier haben wir diese zwei Geschwindigkeiten, die teils noch Hardware on premise mit Cloud-Technologien verlangt. Einen einzigen Sprung in die Cloud wird es also wahrscheinlich nicht geben, aber Schritte dahin. Dazu haben wir ein großes hybrides Projekt gestartet, das Onpremise-IT mit Cloud verzahnt.
Wie fühlst du dich als Cloud-Spezialist in einem Traditionsunternehmen?
Super! Was ich total spannend finde, ist, dass wir trotz unserer Unternehmensgröße den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Chance geben, sich einzubringen. Das finde ich toll und ist keine Selbstverständlichkeit. Ich glaube, das ist ein Unterschied zu anderen großen Unternehmen, wo man die Chance oft nicht bekommt. In der ÖBB wirst du wirklich gehört, wenn du Ansätze hast. Und wenn sie anderen gefallen, dann unterstützen sie dich auch, wollen auch mit dir gemeinsam etwas machen und bewegen.
Das heißt, du sagst, es gibt diesen Geist des Technologiekonzerns?
Ja, ich meine, dass jede und jeder von uns ein gewisses Maß an Interesse für Technologie und auch für Neues mitbringt. Dass ein großer Workload mit der Betreuung und Ablöse alter Systeme besteht und oft kaum Zeit bleibt, sich mit innovativen und neuen Dingen zu befassen, ist hier die Herausforderung, die bei Technologietransformationen mitberücksichtigt werden muss.
Nightjet
Seit März gibt es Corona bedingt große Veränderungen in der Arbeitswelt. Arbeitet ihr nun alle verteilt?
Ja, in meinem Bereich momentan schon. Wir bekommen sehr zeitnahe Informationen, wie es ablaufen soll. Wir werden per Mail verständigt, wenn sich Dinge ändern. Das alles sehr zeitnah, beispielsweise gab es an dem einen Tag allgemeine Informationen und am nächsten kommt bereits die Mail, was das für uns am Arbeitsplatz konkret bedeutet. Wir haben für den gesamten Konzern eine Corona-Ampel, die für uns quasi der rote Faden in den einzelnen Phasen ist. Insgesamt finde ich das Corona-Management exzellent und es führt bei uns zu einem größeren Zusammenhalt über alle Hierarchieebenen.
Funktioniert das mit der verteilten Arbeitsweise besser oder schlechter als vorher?
Bei den Kollegen, mit denen ich direkt zusammenarbeite, gab es zwei Phasen. Es gab zunächst eine Phase, wo es zu einer Cliquenbildung von den Personen, die im Büro blieben, und von den Personen, die außerhalb waren, kam. Aber diese Cliquenbildung hat sich inzwischen bei uns aufgelöst. In mehreren Workshops haben wir dann Regeln erstellt, wie wir den folgenden drei Herausforderungen begegnen können: psychisches Wohlbefinden, Arbeitsplatzausstattung, und Zusammenarbeit. Besonders für das Wohlbefinden war uns wichtig, dieses Hereinragen des privaten Bereichs in die Arbeit besser zu kompensieren. Wir haben uns im Kollegenkreis darüber ausgetauscht, wo man gut Laufen gehen kann oder wo es gute Indoor-Klettergerüste für die Kinder gibt. Und wir sind viel besser darin geworden, unsere Arbeit zu dokumentieren, sodass wir alle wichtigen Informationen nachlesen können, auch wenn wir an einem Meeting nicht teilnehmen konnten. In diesen Dingen sind wir eindeutig besser geworden.
Hat euch Corona ein Stück weit geholfen, disziplinierter und ordentlicher in der Zusammenarbeit zu sein?
Ja, hundert Prozent. Diese Regeln, wie wir zusammenarbeiten, dafür hat man sich vorher keine Zeit genommen. Durch Corona wurde ganz klar aufgezeigt, diese Zeit muss jetzt genommen werden. Vorher konnte man das ausbügeln, indem man mal schnell mit dem Kollegen nebenan spricht. Ich musste nicht alles dokumentieren, sondern ich ruf das einfach mal in die Runde rein. Jetzt ist klar, dass ich nicht ständig Rundcalls unter allen Kollegen starten kann und wir Möglichkeiten finden müssen, um besser zusammenzuarbeiten.
„Wir lernen durch Corona bei der ÖBB gerade sehr viel in der Art der Zusammenarbeit”
Glaubst du denn, ihr werdet, wenn das alles vorbei ist, wieder zurück ins Büro gehen, als ob nichts gewesen wäre?
Ich hoffe, dass das Homeoffice sein Image von Nichtstun und verlängertem Wochenende endgültig verliert und dass es mehr gegenseitiges Vertrauen darin gibt, dass alle sich reinhängen und Verantwortung übernehmen. Wir lernen durch Corona bei der ÖBB gerade sehr viel in der Art der Zusammenarbeit. Wie bei vielen Unternehmen hat Corona auch bei uns eine neue Perspektive in die Arbeit gebracht und damit neue Möglichkeiten geschaffen.
Was würdest du dir in deiner jetzigen Situation als remote arbeitender DevOps-Experte fürs nächste Jahr wünschen?
Ich wünsche mir, dass DevOps und Cloud-Computing auf allen Ebenen des Unternehmens als die große Chance erkannt wird, die ich hier sehe. Dass wir den Weg, den wir eingeschlagen haben, mit dem Drive, der jetzt da ist, konsequent weiter verfolgen.
Malte, vielen Dank für das Interview!
Malte Fiala ist Enterprise Architect beim Business Competence Center der ÖBB in Wien Kam über die Kunst zur Informatik „Besonders spannend ist, wenn man in unterschiedlichen Projekten ist oder war, vieles gesehen hat und dann die ganzen Erfahrungen miteinander verknüpfen kann“