JavaSPEKTRUM: Wie viele Mitarbeiter beschäftigt das IT-Referat und was sind deren Aufgaben?
Bönig: Das IT-Referat beschäftigt rund 1200 Mitarbeiter. Ihr Aufgabenspektrum reicht von der Beratung, Unterstützung, Programmierung, Implementierung und Integration der Lösungen bis hin zum Betrieb und dem LifeCycle-Management der Fachanwendungen. Dabei legen wir sehr viel Wert auf Mitarbeiterbindung und Teamgeist. Die Beschäftigten können im Homeoffice arbeiten, wir fördern Frauen in der IT und gründen jetzt zum Beispiel auch E-Sportmannschaften. Ein weiteres Highlight für die Auszubildenden: Sie dürfen zeitweise im InnovationCenter der Stadt arbeiten und dabei zum Beispiel Pepper, den Roboter, programmieren. Der liest danach beispielsweise Märchen in Bibliotheken oder Kindergärten vor.
Was sind die Schwierigkeiten bei der digitalen Transformation im kommunalen Umfeld?
Wir agieren in einem stark regulierten Bereich – Innovationen sind hier eine schwierige Aufgabe. Deshalb haben wir erste Maßnahmen ergriffen, die von einem nachhaltigen Kulturwandel und dem Auflösen der vielfältigen Grenzen in den Köpfen der Menschen bis hin zur Gründung eines Innovation Labs reichen, um Prozesse kreativer und digital zu gestalten – ganz ohne Denkverbote. Zudem haben wir die tief greifende Digitalisierungsstrategie „München. Digital. Erleben.“ verabschiedet, deren Ziele die Politik mitträgt. Aus dieser Strategie werden jetzt sukzessive verschiedene Maßnahmen für die einzelnen Referate abgeleitet, um digitale Technologien einzusetzen, damit neue und bessere Produkte sowie Services für die Bürgerinnen und Bürger entstehen.
Wie ist der Zeitplan für die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie?
In fünf Jahren wollen wir wesentliche Meilensteine in drei Kernbereichen erreicht haben: Digitale Stadtverwaltung, Digitale Stadtgesellschaft und Digitale Infrastruktur.
Was sind die Ziele?
Wie unser Oberbürgermeister Dieter Reiter gesagt hat „Digitalisierung muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt“. Denn im Gegensatz zu den großen Technologiekonzernen digitalisieren wir nicht aus kommerziellen Gründen. Doch auch wir verfolgen dabei durchaus wirtschaftliche Ziele: weniger Kosten bei gleichzeitiger Qualitätsverbesserung. Da sich eine immer mehr digitale Gesellschaft entwickelt, müssen wir als Kommune den Bürgerinnen und Bürgern Angebote machen, damit sie mit uns auch digital kommunizieren können.
Sie sind CDO und IT-Referent. Gibt es einen Unterschied?
Als Referent bin ich in erster Linie Berufspolitiker und muss in dieser Rolle der IT politisches Gewicht geben. Politik setzt andere Schwerpunkte als beispielsweise ein Wirtschaftsunternehmen, denn in den kommunalen Bereichen werden hierzu Steuergelder eingesetzt. Aber in Summe kommt am Ende immer IT raus.
Gibt es realisierte Digital-Projekte?
Über das Portal „muenchen.digital“ haben wir beispielsweise das Thema Transparenz gefördert. Hier erfolgt schon seit längerer Zeit eine aktive Berichterstattung zur Digitalisierung in München. Die Bürgerschaft kann nachlesen, mit was sich die Landeshauptstadt oder das IT-Referat immer wieder beschäftigt. Außerdem sind wir in den sozialen Medien aktiver geworden. Umgesetzt wird auch ein großes Digitalisierungsprojekt der Kämmerei, das die Finanzprozesse betrifft. Und das Personal- und Organisationsreferat setzte bereits das Programm „neoHR“ auf, über das das Personalwesen sowie der notwendige Kulturwandel vorbereitet werden soll.
Digitalisierung also vorrangig von internen Prozessen?
Nicht alles, was das IT-Referat im Bereich Digitalisierung unternimmt, wirkt sich direkt auf Online-Services für Bürger aus. Einzelne Behördengänge werden auch in absehbarer Zukunft nicht abgeschafft werden können. Doch es wird definitiv mehr Online-Dienste geben, auch wenn die Digitalisierung oft dazu eingesetzt wird, dass sich interne Prozesse deutlich verbessern. Das wird für die Bürgerinnen und Bürger in der Form sichtbar, dass sie in den bisherigen Bereichen deutlich bessere und schnellere Services erhalten werden.
Wo liegt der Fokus?
Die Schwerpunkte sind nicht immer ganz gleichmäßig verteilt. Mit den internen Maßnahmen zur Digitalisierung optimieren wir Qualität, Geschwindigkeit und Kosten der Prozesse. Ein Beispiel für den Innendienst sind Sozialarbeiter, sie reduzieren den Aufwand für die Dokumentation durch den Einsatz mobiler Endgeräte. Ein anderes Beispiel ist das Kreisverwaltungsreferat, es kann einen Antrag in deutlich kürzeren Fristen bearbeiten. Denn elektronische Akten enthalten an zentraler Stelle alle wichtigen Informationen. Außerdem reduziert das Papier und ist daher nachhaltig. Bei den Diensten für die Bürgerschaft liegt der Fokus bei Online-Services und Apps wie die „München App“ oder das M-Login der Münchner Stadtwerke sowie dem umfangreichen Ausbau zentraler Online-Angebote der Landeshauptstadt München.
Wie meistert das IT-Referat diese Herausforderungen?
Wir haben mit dem Programm „neoIT“ im Sommer 2018 begonnen, die städtische IT in weiten Teilen zu modernisieren und auf die Digitalisierung auszurichten. Die Leistungsfähigkeit und Performance soll damit deutlich gesteigert und mögliche Reibungsverluste sollen reduziert werden. Weiterhin wird it@M, der IT-Dienstleister der Stadt München, zu einem Business Enabler sowie Digital Service und Hightech Provider weiterentwickelt.
Nutzen Sie Cloud-Lösungen?
Wir machen erste vorsichtige Schritte mit der Cloud. Solange die Daten sicher verschlüsselt sind und wir mit europäischen oder deutschen Rechenzentren arbeiten sowie die DSGVO eingehalten wird, kann das zukünftig ein Thema sein, das an Bedeutung gewinnt. Geplant ist auch, aus dem IT-Referat der Stadt eine eigene München Cloud (LHM Cloud) zur Verfügung zu stellen, die wir einer immer mehr digitalen Stadtgesellschaft anbieten wollen.
Was sind die Mehrwerte?
Meldebescheinigungen und andere Angebote der Stadt sind nicht so interessant oder ansprechend wie Online-Shopping auf Amazon oder bei Zalando. Deshalb denken wir auch über ein neues Portal-Konzept nach, um die „Customer Experience“ zu optimieren. Die Bürger sollen dann nicht nur die klassischen Anlaufstellen online vorfinden, sondern auch einen Mehrwert bei der Nutzung erhalten. Ganz im Stil wie wir es heute bei verschiedenen Online-Angeboten schon erleben können. Beispielsweise kann die Bürgerin oder der Bürger eine Meldebescheinigung anfordern und dabei gleichzeitig die Information erhalten, dass heute besondere Veranstaltungen in der Stadt stattfinden. Wir dürfen im Online-Bereich nicht zur „Bürokratie Online“ werden, sondern müssen gute Services und Produkte anbieten, die den bisher bekannten Services in nichts nachstehen. Frischgebackene Eltern erhalten dann mit der Geburtsurkunde eines Kindes beispielsweise gleichzeitig eine Berechnung des Kindergelds, Adressen von Krippen in der Nähe und empfohlene Kinderarzt-Termine.
Wie vernetzen Sie sich mit anderen Stellen? Gibt es eine gute, koordinierte Zusammenarbeit?
Es gibt viele Kontakte, beispielsweise mit Hamburg – Stichwort: Smart City – und mit Köln und Düsseldorf. In Bayern haben wir eine Kooperation mit Augsburg und Nürnberg gegründet, Regensburg kommt noch hinzu. In Kooperationen soll die Digitalisierung effizienter und schneller vorangetrieben werden. Wir wollen Erfahrungen und Lösungen austauschen, Planungen umsetzen und zum Beispiel gemeinsam beim Freistaat auftreten.
Wo sind die Grenzen einer Kooperation?
Eigenentwicklungen können wir sicherlich an andere Städte weiterreichen und auch von diesen erhalten. Allerdings sind Lösungen oft an bestimmte Architekturen gebunden. Hier sollen in Zukunft gemeinsame Architekturen Abhilfe schaffen, sodass auch Lösungen ausgetauscht werden können. Einer unserer Wünsche in diesem Zusammenhang ist, dass zum Beispiel der Freistaat zukünftig als Cloud Broker auftritt, dies würde erhebliche Vorteile für die Kommunen in der IT der Zukunft bringen.
Wird für den Bürger eine gute Verwaltung ein Standortfaktor?
Ja, denn wenn die Verwaltung eine Stadtgesellschaft unterstützt, neue Perspektiven eröffnet und berät, ist das eine klassische Win-win-Situation. Diese Kultur haben viele deutsche Kommunen noch nicht ganz verinnerlicht: Wir müssen gute Services und Produkte bieten, damit man gerne in München lebt.
Gibt es für Sie persönliche Lieblingsprojekte?
Unter anderem ist das der Digitale Zwilling von München. Mit einem 3D-Modell der Stadt, in dem alle Daten hinterlegt sind, lassen sich viele Fragen beantworten und besser planen. Damit könnten Bürgerinnen und Bürger per App beispielsweise auch auf ihr Haus klicken und erhalten dann alle für sie relevanten und Datenschutz-rechtlich abgesicherten Informationen. Ziel ist eine möglichst perfekte Verbindung der digitalen mit der analogen Welt.
Thomas Bönig führt seit 1. März 2018 als Chief Digital Officer (CDO), Referent und berufsmäßiger Stadtrat das neu gegründete IT-Referat der Stadt München, der Landeshauptstadt des Freistaats Bayern.
Das Interview führte Christoph Witte, E-Mail: cwitte@wittcomm.de