Urängste
So, jetzt geht es mir besser. Befreiter. Beruhigter. Und der Schreibflow setzt wieder ein. Wir machen das viel zu selten: Sagen, was gerade ist und wie es uns gerade ergeht. Also wirklich geht. Und sagen. Stattdessen sind wir damit beschäftigt, unsere Rolle zu wahren, und behalten die „professionelle“ Maske auf. Denn was könnten die anderen denken, wenn ich zugebe, gerade etwas nicht zu wissen oder zu können? Das triggert tiefste Ur-Muster in uns an: Gesichtsverlust. Angst vor Kritik, Ablehnung und Ausgrenzung. Leider frisst das nicht nur sehr viel persönliche Energie, sondern treibt auch recht seltsame Blüten, die wir im Alltag nur zu gut kennen: Meetings voller Ausreden, Ausflüchte, Worthülsen ohne Inhalt oder Lösung. Schwelende Konflikte, Schweigen, seltsame Blicke in der Kaffeeküche. Vorgeschobene „Argumente“ in Dailies, Review-Meetings und Co.
Pink Elephant
Wir unterschätzen, wie klärend und gut es tut, einfach mal anzusprechen, was gerade im Raum ist und wie es einem gerade geht. In Trainings, Workshops und in der Beratung nennen wir das „As ising“ – einfach ansprechen, was ist. Das Spannende dabei ist: Meist haben die anderen den gleichen Gedanken oder eine ähnliche Wahrnehmung und sind dankbar, wenn es angesprochen ist. Meine bezaubernde Frau erzählte mir letztens vom Elternabend der Schule. Unerträglich langatmiges Wahlprozedere für die Klassenpflegschaft. Standardroutinen. Meiner Frau brannte ein anderes Thema unter den Nägeln: die „Arbeitszeit“ der Kinder ab Stufe 10. Bei 8 bis 10 Stunden bis 15, 16, 17 Uhr gibt es gerade 20 Minute Mittagspause. Ab 12 Uhr noch je 5 Minuten zwischen den Fächern. Sie sprach es an. Das Thema wurde als nicht änderbar abgetan, die Moderation fuhr fort, keiner äußerte sich. Danach, draußen, das Feedback diverser Eltern: „Danke, dass Du das mal gesagt hast, das war das wichtigste Thema des Abends, seh ich genauso“.
Verkopfter Geschäftsalltag
Es ist ja eigentlich ein Wahnsinn, welche Ressourcenverschwendung dadurch in all den Besprechungen, Meetings, Zooms und Gespräche passiert. Es wird herumlaviert, sich in Standardroutinen geflüchtet, alles, um den rosa Elefanten nicht anzusprechen. Und der Kosten und Aufwandsticker läuft mit. Klar, es braucht Mut und Courage, die Dinge anzusprechen. Und manchmal geht es auch nicht. Ich ertappe mich selbst auch dabei, einen Impuls zu haben und nicht die Hand zu heben, nichts zu sagen. Aber ich will mir das auch nicht durchgehen lassen und übe, übe, übe. Denn ich glaube, „As ising“ lässt sich als Teil einer wertschätzenden, lösungsorientierten Haltung etablieren – und da können wir alle sicher noch besser werden. In diesem Sinne: Sprechen Sie doch mal an, was eh im Raum steht, und staunen Sie, wie dieser Punkt sich auflöst. Ich werde jetzt die restliche Bahnfahrt entspannen.